people_scans

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Mit seinen Ganzkörperscans begibt sich der oberösterreichische Fotograf Kurt Hörbst auf die Spurensuche nach Details in den Oberflächen menschlicher Körper und entschleunigt mit seiner Aufnahmemethode die Porträtfotografie der heutigen Zeit: Die flach auf dem Boden liegenden Menschen werden mit einer hochauflösenden Digitalkamera, die an einem eigens konstruierten Schienensystem befestigt ist, Zeile für Zeile fotografisch abgetastet und müssen dafür minutenlang in einer Pose verharren. Von einer Person werden bis zu 20 einzelne Aufnahmen angefertigt, die Hörbst dann am Computer zusammensetzt. Wir haben uns mit Kurt Hörbst über sein Projekt unterhalten, das er am DO, 7. März 2013, um 20:00 im Ars Electronica Center im Rahmen der Ausstellungseröffnung „people_scans“ persönlich präsentieren wird.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Menschen einzuscannen?

2005 habe ich mit dem Projekt „landscape_scans“ begonnen, das sich vorwiegend mit sehr reduzierten Landschaftsoberflächen beschäftigte. Monochrome Landschaftsdetails sollten dabei  hochauflösend wiedergeben werden, um jedes Staubkorn und jeden Grashalm erkennbar zu machen. Im Zuge dessen habe ich mir gedacht, dass dieses Scannen auch mit Menschen interessant sein könnte, um auch mit menschlichen Oberflächen zu arbeiten.

Die ersten Versuche, meine Familie mit dieser Apparatur zu fotografieren, haben ganz gut funktioniert. Nach einer ersten Ausstellung und der Präsentation bei einem Festival in Finnland habe ich „people_scans“ zunächst nicht mehr so intensiv weiterbetrieben, weil ich andere Projekte verfolgte. Man verdrängt gewisse Dinge, dann tauchen sie wieder auf. Spätestens, wenn sie dann immer wieder auftauchen und eine gewisse Substanz bekommen, weiß man, dass da etwas dran ist, an dem man weiterarbeiten möchte. Die Ausschreibung aus Venedig kam genau zum richtigen Zeitpunkt – nachdem mein Scan-Projekt ausgewählt wurde, betrieb ich es dort als Artist in Residence konsequent für einen Monat lang und scannte VenezianerInnen ein. Auch das hat sehr gut funktioniert, und nebenbei sind viele Ganzkörperporträts entstanden.

Dann habe ich gemerkt, dass es interessant ist, wenn ich das Projekt etwas größer denke: Wenn ich sage, ok, jetzt habe ich Venedig, vielleicht kann ich das auch in Wien machen, vielleicht könnte ich das mit Menschengruppen machen, vielleicht könnte daraus gar ein größeres Gesamtbild der Menschen des frühen 21. Jahrhunderts entstehen. Ich weiß noch nicht genau, wo mich das tatsächlich hinführen wird und ob dann tatsächlich so etwas wie ein Soziogramm unserer Gesellschaft herauskommt. Aber grundsätzlich war mir damals schon klar, dass es sinnvoll ist, weiter zu scannen und zu schauen, was dabei herauskommt.

Sie waren auf der Suche nach Menschen, die sich dazu bereiterklärten, sich hochauflösend einscannen zu lassen – wie haben Sie sie angesprochen und gab es dabei Schwierigkeiten?

Richtig konsequent habe ich das Scannen bis heute erst zwei Mal gemacht: In Venedig und Wien. In Venedig war es so, dass wir die Leute gecastet haben, indem wir mit zwei Mitarbeiterinnen der Organisation durch die Stadt gegangen sind und Leute direkt angesprochen und sie über das Projekt informiert haben. Die sind dann zum Teil gekommen, zum Teil bin ich aber auch selbst mit meiner Frau, die italienisch spricht, durch die Gassen spaziert und wir haben rund um unser Studio die Leute ganz konkret angesprochen. Manche sind gleich mitgegangen, manche sind zwei Stunden später gekommen, andere wollten an einem anderen Tag kommen und wir haben sie nie wieder gesehen. In Wien war es ganz anders, da haben wir eine Website online gestellt, wo sich die Leute selbst mit einem Foto bewerben konnten. Nach diesem Online-Casting traf ich dann eine Auswahl von etwa 30 Personen, und versuchte dabei einen Querschnitt nach Alter und Geschlecht zu berücksichtigen. Wen man auswählt, da gibt es keine Kriterien, weil jede oder jeder interessant ist.

Mittlerweile werde ich auch eingeladen, wobei ich mich hier schon in der Tradition der Wanderfotografen aus dem 19. Jahrhundert sehe, die mit ihren Pferdekutschen und ihren mobilen Dunkelkammern unterwegs waren und vor Ort ihre Fotografien entwickelt haben. Auch ich komme mit meiner „digitalen Kutsche“ vorbei, bleibe einige Zeit, fotografiere Menschen, reise zum nächsten Ort weiter und hinterlasse irgendetwas. Diesen Aspekt finde ich sehr interessant, auch dass die Personen, die mich einladen, nicht das Gesamte sondern das Punktuelle sehen.

Der Blick auf das Projekt verändert sich also laufend?

Der Blick auf das eigene Tun verändert sich andauernd, wenn man tut. Was ich grundsätzlich sehr gut finde, auch bei meinen Überlegungen, die ich mir damals dazu gemacht habe. Da haben sich schon wieder einige Dinge reduziert und andere Aspekte sind in den Vordergrund gekommen. Auch inhaltliche Dinge sehe ich heute anders, nachdem ich mich einige Jahre damit auseinandergesetzt habe. Der Blick auf die eigene Arbeit verändert sich kontinuierlich. Es kommt wieder etwas dazu, es bricht wieder etwas weg – obwohl eigentlich vieles bei meinem Projekt gleich bleibt: Es ist stets das gleiche Licht, der gleiche Untergrund und es ist immer grundsätzlich die gleiche Position.

Manche Leute haben mich schon angesprochen, ob es nicht besser wäre, wenn die Menschen ein bisschen freundlicher sein würden und etwas mehr lachen könnten, aber ich denke mir, es ist zumindest in dieser Phase gar nicht so gut, weil es doch einen dokumentarischer Ansatzpunkt gibt. Ich zeichne auf, nehme einen zeitlichen Ausschnitt und packe unterschiedlichste Charaktere und Menschenoberflächen hinein. Ich fotografiere sie immer gleich ab, und versuche auch den Blick und die Emotionen stabil zu halten. So habe ich besser die Möglichkeit, dieses Vergleichende, rein Oberflächliche, herauszuarbeiten. Und wenn jemand lachen oder extrem posierend dort liegen würde, so hätte mein Foto bei den BetrachterInnen schon wieder etwas anderes ausgelöst. Ich möchte meine Fotografien doch sehr neutral halten. Ob die Fußposition gekreuzt ist, die Hände in der Hosentasche oder in der Jackentasche sind, oder irgendwie verschränkt daliegen ist schon in Ordnung, aber von der Mimik und von extremen Gesten her würde ich da nicht zu viele Experimente wagen. Durch diese Ablenkungen würde zumindest der für mich so zentrale vergleichende Aspekt in der dokumentarischen Fotografie verloren geht.

Sie haben die Bilder selber zusammengesetzt, würde eine automatisierte Software, wie es sie schon bei Panoramabildern gibt, Ihre Arbeit nicht erleichtern?

Das Problem bei einer Panorama-Software ist, dass diese anders konzipiert ist. In der Panorama-Fotografie gibt es einen Nodalpunkt, von dem die Kamera aus geschwenkt wird. Bei „people_scans“ ist vor allem die lineare Bewegung mit der Kamera dominierend. Es gibt keinen fixen Punkt und ich schwenke nicht, insofern ist diese Art von Software sehr ungeeignet. Es gibt zwar Programme, wo auch linear aufgenommene Bilder automatisiert zusammengesetzt werden können, aber das Problem ist, dass es sich meistens um Software für Reproduktionen von Gemälden handelt, die ohnedies zweidimensional sind, und das ist da auch wieder nicht der Fall. Bei meinem Projekt kommt auch dritte Dimension zum Einsatz und insofern kann diese die Bilder nicht stückeln. Es gibt Brüche, es gibt Bereiche, die manuell ausgebessert werden müssen und wo man letztendlich ein bisschen mogeln muss, dass diese 15 bis 20 einzelnen kleinen Zentralperspektiven wirklich zu einer Multiperspektive oder zu einem perspektivenlosen Bild zusammengesetzt werden können. Denn wenn ich mit meiner Kamera eine Person scanne, habe ich eine Zentralperspektive auf den Kopf, dann eine auf die Brust, eine auf den Bauch, auf den Hüftbereich, Beine, Füße, und die setze ich dann zusammen. Das heißt, ich habe 15 bis 20 Zentralperspektiven auf einen Körper angewandt – neben der liegenden Position, die in die Vertikale gebracht wird, ist das eine weitere Irritation. So sieht man zum Beispiel die Schuhsohlen, was normalerweise ja gar nicht geht.

Warum liegend und nicht stehend?

Das hängt mit dem Scan-Thema und den Oberflächen, die ich früher fotografiert habe, zusammen. Eigentlich ist es so, dass wir fast die Hälfte unserer Zeit liegend verbringen, die Menschen aber kaum in dieser Position fotografiert werden – warum kann man das nicht zeigen? Dieser Blickwinkel ist mir aber auch erst in letzter Zeit so bewusst geworden. Das war zwar nicht mein Grundgedanke, aber ich finde es nicht unwesentlich. Primär geht es aber wirklich darum, dass der Scan-Prozess wie bei einem Flachbrettscanner einfach flach ist und man in der Horizontalen arbeitet. Es geht letztendlich um das zeilenmäßige Abtasten und die Zeilen sind bei „people_scans“ mit 10 bis 15 Zentimeter extrem groß – im Gegensatz zu normalen Scanzeilen.

Bei Ihren Fotografien müssen die Menschen zwei bis drei Minuten ruhig halten. Wie haben Sie das bei dem Baby geschafft?

Die kleine Josefine war einfach, da ich nicht so viele Aufnahmen von ihr brauchte, weil sie ja kürzer ist. Sie besteht aus zwei bis drei Aufnahmen, da bin ich lediglich zwei bis drei Mal hin- und hergefahren – ihre Mutter war ja sowieso stabil. Das ging relativ flott und da habe ich dann das Beste herausgenommen. Bei Josefine ist das sowieso noch einmal spannender, da sie im Gegensatz zu ihrer Mutter viel näher am Objektiv war und sie jetzt riesig wirkt. Im Grunde habe ich nur einen Abstand von 1,20 Meter, und da der Kopf des Babys dem Kameraobjektiv 30 Zentimeter näher war, wirkt Josefine im Vergleich zur Mutter unverhältnismäßig groß – eine weitere Irritation dieser Porträtfotografie. Wenn man die beiden nebeneinander hinlegt, schaut das alles ganz anders aus. Ich entdecke immer wieder neue Dinge, die ich zuvor nicht berücksichtigt habe.

Wie geht es mit dem Projekt weiter?

Zukünftig würde es mich interessieren, spezielle Menschengruppen anzuschauen. Wie zum Beispiel WissenschaftlerInnen oder auch SportlerInnen –  der ÖSV wurde bereits kontaktiert. Im April geht’s nach Darmstadt, im Mai nach Peking und im Frühsommer wird das Ganze in Moosburg, einem Ort in Kärnten, passieren, wo der dörfliche Aspekt im Vordergrund steht. Das Gleiche wird 2014 im niederösterreichischen Spitz passieren, aber auch die Stadt Riga in Lettland ist für 2014 geplant. Ich denke, wenn der Fokus auf Menschengruppen liegt, die gegenübergestellt oder gleichzeitig ausgestellt werden können, kann das ganz interessant sein. Dazu muss ich aber fleißig sein und sammeln  bzw. scannen.

people_scans im Ars Electronica Center

Als Artist in Residence hat sich Kurt Hörbst mit seinem Projekt bereits in Venedig einen Namen gemacht. Nach Wien sind seine Fotografien nun auch in Linz zu sehen. Eröffnet wird die Ausstellung „people_scans“ mit einer Präsentation im Deep Space am DO 7.3.2013, 20:00, die Bilder von Kurt Hörbst sind ab dann bis Ende April im Foyer des Ars Electronica Center zu sehen. Weitere Informationen zur Eröffnung finden Sie auf ars.electronica.art/center.

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