Wir interagieren mit dem Universum

interactivity_small,

Enrique Rivera, audiovisueller Forscher und Kurator aus Santiago de Chile, war schon beim Ars Electronica Festival 2013 im Rahmen der Konferenzreihe Pixelspaces mit dabei. Dieses Jahr ist er einer der JurorInnen beim Prix Ars Electronica 2014 in der Kategorie „Interactive Art„. Wir haben ihn gefragt, was er denn unter „Interaktivität“ versteht und ob Menschen in Chile anders interagieren als Menschen in Japan oder Europa. Der Einreichschluss zum Prix Ars Electronica 2014 ist übrigens der 19. März 2014 – mehr Infos zum Mitmachen unter aec.at/prix.

Was verstehen Sie unter dem Begriff „Interaktivität“?

Enrique Rivera: Grundsätzlich kommt es darauf an, wo man das Konzept anwendet – in der Literatur, in der visuellen Kunst, in der Medienkunst, im Expanded Cinema, im Social Hacking, in der Politik, oder bei einer einfachen Unterhaltung. Aber das, was alle Handlungen in diesen Bereichen gemeinsam haben, ist die Fähigkeit, Wissen zu teilen oder auszutauschen. Im Fall der Medienkunst denke ich, dass das Konzept der Interaktivität über den Rahmen eines Werks hinaus beobachtet werden muss, um auf einen externen Reiz reagieren zu können, und das als weitere Wissensquelle zu berücksichtigen – das schließt die Fähigkeit mit ein, dass sich nicht nur im Kopf des Beobachters etwas verändern kann sondern auch das Werk selbst.

All diesen Aspekten liegt ein bereits bestehendes Konzept zugrunde, um dem Interagierenden ein Erlebnis vermitteln zu können. Hier möchte ich gerne auf die kybernetische Sichtweise von Interaktion verweisen, oder genauer, auf die von Gordon Pask (England, 1928-1996), als er im Jahr 1995 sagte, dass sich Konzepte genauso abstoßen wie sich im Gegenteil Konzepte anziehen können. Für Pask war die Interaktion der Konzepte – im Fall der Kunst steht der Inhalt hinter jedem „interaktiven Effekt“ – an eine Materialität gebunden, die von bestimmter Energie beeinflusst wird. So wie Magneten die Möglichkeit haben, etwas unsichtbar zu bewegen, so sind auch die Gedanken oder Nervensysteme aller Menschen dieser Welt von einer Energie beeinflusst, und sie verändert sich, wächst, transformiert sich, und geht nie verloren – je nach Zusammenhang.

Gordon Pask‘s „abstoßender Panzer“ („Repulsive carapace“) ist von einem Konzept umgeben: Dies zeigt sich als Minuszeichen – und hat eine Drehrichtung mit und gegen den Uhrzeigersinn. Die Eigenschaft des Drehs wird durch ein ruhendes Element bestimmt, das wie ein Zylinder eingeschlossen ist. Das Pluszeichen kennzeichnet einen Prozess, der sich zu schließen versucht und sich dabei „wie eine Katze in ihren eigenen Schwanz beißt“. Quelle: Wikipedia

Es ist wichtig, sich das Konzept der Interaktion in Zusammenhang mit der Autopoiesis-Theorie anzusehen, wie sie bei der Ars Electronica schon zwei Mal durch Humberto Maturana erklärt worden ist – neben Francisco Varela ist er einer der Urheber der Theorie. Zuerst während des Ars Electronica Festivals 2011, das sich der Idee von Endo und Nano widmete, und dann während des Origin Symposiums 2011. Maturana und Varela erklären die Theorie der Autopoiesis auf eine neue Weise: Eine autopoietische Maschine ist eine Maschine (eine Einheit), die als Netzwerk aus Produktionsprozessen von Komponenten organisiert ist (Transformation und Destruktion): Erstens stellen sie durch ihre Interaktionen und Transformationen laufend neue Komponenten her und lassen das Netzwerk an Prozessen (Beziehungen) entstehen, die sie erzeugen; und zweitens legen sie damit die Maschine als konkrete Einheit in Raum fest, in welcher die Komponenten existieren – über das Definieren des topologischen Gebiets ihrer Verwirklichung so wie bei einem Netzwerk.

Quelle: Autopoiesis and Cognition: the Realization of the Living (1st edition 1973, 2nd 1980) Maturana and Varela

Jede Interaktion muss also als Prozess verstanden werden, der in einer gigantischen Struktur stattfindet, die nicht nur die Welt beinhaltet, sondern auch von unbekannten Elementen des Universums bestimmt ist, wie dunkle Energie und Materie. Das minimalste Element des lebenden und nicht-lebenden Organismus der Welt ist Teil von einem interaktiven harmonischen Prozess auf Metaebene, der die Harmonie reguliert.

Damit stehen wir vor einem sehr interessanten Kunst- und Wissenschaftsszenario, wo die Herausforderung dabei liegt, darüber nachzudenken und damit interaktive Kunstwerke zu schaffen, und wir damit sehr stark an die extremen und zerbrechlichen Grenzen stoßen, wie sie von früheren Zivilisationen und auch von modernen Künstlern und Wissenschaftlern erkannt wurden. Frank Malina zum Beispiel bildete eine starke Verbindung zwischen beiden Wissensfeldern und benutze Weltraumkunst als einen neuen Weg, um die heutige Vorstellungskraft mit Quantencomputern und Metamaterialien zu verbinden und damit eine neue Form von Medienkunst zu schaffen.

Die Vielfalt der eingereichten Werke ist breit – die Kategorie „Interactive Art“ beinhaltet Installationen, Performances, Publikumsbeteiligungen genauso wie virtuelle Realität oder Robotik. In der Mitte steht jedoch stets der Mensch. Glauben Sie, dass Menschen in anderen Kulturen wie Chile, Japan oder Europa unterschiedlich „interagieren“?

Enrique Rivera: Natürlich haben Menschen von verschiedenen Breitengraden einen verschiedenen Habitus, der bestimmt wird von unseren Kleidern, dem Bildungsgrad, unbewusst und bewusst. Und dann, wenn die Interaktivität sehr speziell ist, und der konzeptionelle Code sehr ähnlich, führt das wahrscheinlich zum Klischee der Verallgemeinerung von verschiedenen Kulturen. Zum Beispiel haben wir in Japan und Chile eine hohe Anzahl an Erdbeben. In Chile gehen wir sehr offen damit um, und in Japan, so habe ich das Gefühl, richtet sich das mehr nach innen. Zum Beispiel erinnere ich mich an die Arbeit von Suzann Victor „Contours of a Rich Manoeuvre II“, die ich bei der Ausstellung „Theroclines of Art“ am ZKM gesehen habe, wo eine Reihe an Lampen von der Decke hangen und sich wie ein Pendel bewegten. Sofort musste ich dabei an ein Erdbeben denken, erst dann bemerkte ich, dass das Teil der Installation war. In diesem Sinn könnte jemand aus Asien meine gleiche Wahrnehmung haben, aber jemand aus Europa würde anders reagieren. Persönliche Erfahrung ist essentiell, um die verschiedenen Möglichkeiten an Interaktion verstehen zu können, da sich diese in unseren Gedanken stützt, die wir mit uns mitführen. Andererseits gibt es transversale Codes, die in unsere persönliche Erfahrung eindringen. Man kann das sehr gut bei Meme nachvollziehen, wo auf ein einfaches Bild oder die Kombination von zwei oder drei Bildern Menschen aus aller Welt dieselbe Reaktion zeigen. Das ist wie die Wiedergeburt der Hieroglyphen, die das Mega-Netzwerk des Planeten beherrschen.

An welchem Projekt arbeiten Sie gerade?

Enrique Rivera: Derzeit stellen wir die letzten Details des Katalogs der Media Art Biennale in Chile zusammen, bereiten die zweite Auflage der „Digitalen Kultur der Begegnung“ vor, die im Oktober an einem öffentlichen Platz in Santiago stattfinden wird, und wir starten schon jetzt mit den Vorbereitungen zur 12. Ausgabe der Biennale für 2015. Außerdem ermuntern wir Leute, ihre Ideen für das Residence-Programm an den astronomischen ESO-Observatorien zu präsentieren, und laden Daten zum Kunst- und Wissenschaftsspeicher www.mediatecalibre.cl hoch. Im Allgemeinen versuchen wir, einen fruchtbaren Bodens aufzubauen, wo Künstler und Wissenschaftler in Chile zusammenkommen und gemeinsam Projekte entwickeln.

,