Technologie von unten

banerjee_VOG_4273_small,

Ian Banerjee, Foto: Florian Voggeneder

Die Kategorie „Digital Communities“ des Prix Ars Electronica widmet sich voll und ganz dem Vernetzen der Menschen und ihrem Zusammenleben mit technologischer Unterstützung. Ian Banerjee – Architekt, Stadtplaner und Bildungsforscher – ist eines von fünf Mitgliedern der Jury, die sich nach intensiven Gesprächen im Rahmen ihrer Jurysitzungen Anfang Mai 2014 auf das Gewinnerprojekt „Project Fumbaro Eastern Japan“ festlegen konnte. Ian Banerjee hat sich kurz Zeit genommen, darüber zu sprechen, was er sich unter einer „Digital Community“ vorstellt und mit welchem Phänomen wir es bei der Stadtplanung in Zukunft zu tun haben werden.

Was verstehen Sie unter einer “Digital Community”?

Ian Banerjee: Über den Begriff Gemeinschaft, wofür die englische Bezeichnung “Community” steht, diskutieren schon seit über Hundert Jahren etliche Soziologen. Ferdinand Tönnies unterschied zwischen „Gesellschaft“ und „Gemeinschaft“. In einer “Gesellschaft” bzw. „Society“ sind die Verbindungen zwischen den Menschen rational konstruiert und eher unpersönlich; ihre bestehenden Wertesysteme können sehr verschiedenartig sein und so weiter… In einer „Gemeinschaft” bzw. “Community” sind die Verbindungen viel persönlicher, weit direkter, stärker miteinander verbunden. In einer „Digital Community“ laufen neue Kommunikationstechniken zusammen – mit neuen oder alten Modellen der Gemeinschaftsbildung.

„Digital Communities“ sind Gruppen von Menschen, die lokal oder global agieren, und die Werte, Identitäten und Missionen teilen oder im gegenseitigen Einvernehmen miteinander verhandeln.

In Ihrem Leben haben Sie etliche Städte besucht. Wenn Sie all ihre Erfahrungen zusammensammeln, hat Technologie die Kraft, unser Zusammenleben zu verbessern?

Ian Banerjee: Ich unterscheide zwischen Technologie als einen bestimmenden Faktor und Technologie als Vermittler. Wenn Technologie ein bestimmender Faktor ist, wird sie den Menschen aufgezwungen. Hier geht Technologie oft ihren eigenen Weg, ohne jegliche kritische Reflektion. So wird es zu einer Bestimmungsgröße – Technologie ist hier meist weit entfernt von den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen, oder sie spricht nur die Bedürfnisse einer bestimmten Gruppe an Menschen an. Heute sehen wir aber den Trend, dass Technologie von unten nach oben hervorgebracht und genutzt wird. Von diesem Blickwinkel aus besitzt Technologie eine durchaus vermittelnde Rolle. Meiner Meinung nach ist das der Weg, der weit mehr gesellschafsrelevantere Effekte erzielt.

Ich komme gerade von einer Konferenz in Medellin in Kolumbien. Die Stadt hat sich einer interessanten Stadt- und Gesellschaftsentwicklung zugeschrieben, die Gemeinschaftsbildung in sehr vielen klugen Wegen betreibt. Auch die kommunalen Technologien, die sie dort entwickeln, fokussieren sich ganz stark auf die Förderung von sozialer Entwicklung und sozialer Innovation. Ich hoffe, dass dieser soziale Zugang zu Design und Technologie in Zukunft eine viel wichtigere Rolle spielen wird.

„Project Fumbaro Eastern Japan“ erhielt die Goldene Nica in der Kategorie „Digital Communities“ 2014. Foto: Project Fumbaro Eastern Japan

„C… what it takes to change“, das ist das Motto des Festival Ars Electronica 2014. Fällt Ihnen ein Wort beginnend mit C ein, das es für einen Change, einen Wandel braucht?

Ian Banerjee: (lacht) Die zwei Wörter, an die ich sofort denken muss sind Community und Change. Aber Sie sind sicher nach neuen Worten aus, stimmt’s? (denkt erneut nach) Ich würde den Begriff Catalyst noch als weiteres Wort einbringen. Wie werden Katalysatoren in den Prozessen der Gemeinschaftsbildung eingesetzt? Die große Urbanistin Jane Jacobs sagte einmal, dass es bei Städten immer um kleine Stückchen geht, die sich gegenseitig unterstützen. Man kann auf Städte aus vielen verschiedenen Winkeln blicken: Eine Möglichkeit ist von ganz oben – von hier aus bekommt man ein großes Bild. Aus diesem Winkel sind es die großen Dinge wie Autobahnen oder Großprojekte, die man bauen könnte.

Aber ich denke, dass die Städte der Zukunft aus sehr vielen verschiedenen kleinen Projekten gebaut werden – nämlich aus Jane Jacob’s „bits and pieces“. Sie werden von vielen unterschiedlichen Stadtakteuren und –Katalysatoren erschaffen, die auf vielen Mikroebenen agieren werden. Wir werden es mit einer sehr komplexen Schichtung zu tun haben, die aus einer Vielzahl an Projekten und sozialen Prozessen bestehen, die wiederum von sehr unterschiedlichen Communities erschaffen werden. Die Stadtplanung wird viel viel komplexer. Complex, das ist ein weiteres C!

Ian Banerjee (AT/IN) ist Architekt, Stadtplaner und Bildungsforscher. Er lebt in Wien. Nach seiner Kindheit, die er in Afrika, Asien und Europa verbracht hatte, studierte er in Wien Architektur. Seine Diplomarbeit schrieb er über die Stadt Curitiba, die auch als „ökologische Hauptstadt“ von Brasilien bekannt. ist. Danach war er mehrere Jahre lang für den Österreichischen Rundfunk (ORF) und das deutschen Satellitenfernsehen (3Sat) als Berater für Dokumentarfilme über städtische Innovationen tätig. Während dieser Zeit reiste er viel durch die Welt – vor allem in Asien. Die Filme wurden in Tokio, Kioto, Hanoi, Shanghai, Hangzhou, Hongkong, Kolkata, Mumbai, Paris, Washington und Mexiko-Stadt gedreht. Anschließend kehrte er zur akademischen Lehrtätigkeit zurück und arbeitete als Lehrbeauftragter im Fachbereich Soziologie (ISRA) der Technischen Universität Wien. Dort begann er seine Erforschung der derzeit im Bildungsbereich stattfindenden radikalen Veränderungen – vor allem ihrer virtuellen Aspekte. Während dieser Zeit arbeitete er drei Jahre lang an der Nationalen Raumordnungsstrategie des Sultanats Oman. Diese Begegnung mit der Komplexität der Gestaltung nationaler Politik in der arabischen Welt prägte seine Überzeugung von der Notwendigkeit neuer Formen der Gemeinschaft auf der Grundlage von Bildung und gesellschaftlichem Lernen.

,