File-Sharing mit dem Disarming Corruptor

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Foto: Matthew Plummer-Fernandez

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht von Online-Spionage, (noch) schärferen Maßnahmen gegen File-Sharing oder des illegalen – weil etwa gegen herrschendes Urheberrecht verstoßenden – 3D-Drucks verschiedenster Objekte in den Medien die Rede ist. Letzteres beschäftigt Matthew Plummer-Fernandez, der mit seinem Software-Tool „Disarming Corruptor“ digitale 3D-Modelle im STL Format verschlüsseln kann und so vor Zensur schützt.

Wie bei einer Verschlüsselungsmaschine wird beim Disarming Corruptor ein Algorithmus verwendet, der einerseits STL-Dateien eines Senders in eine unlesbare Form verwandelt und andererseits dem Empfänger ermöglicht, diesen Schritt wieder rückgängig zu machen und die Originaldatei wieder herzustellen. Der Empfänger muss dafür lediglich den siebenstelligen Code in die Software eingeben. Gibt man den falschen Code ein, wird die Datei zusätzlich beschädigt.

Wenn Patentjäger oder Strafverfolgungsbehörden derlei Daten auf Sharing-Plattformen finden, sehen sie lediglich abstrakte Verformungen als Vorschaubild. Diese Files stehen zwar noch immer für das ursprüngliche Objekt, müssen allerdings durch die Eingabe des siebenstelligen Codes wieder repariert werden, um in den Ursprungszustand zurückverwandelt werden zu können.

Mit diesem kritischen Projekt auf dem Gebiet des Digital Manufacturing gewann Matthew Plummer-Fernandez eine Auszeichnung beim Prix Ars Electronica 2014. Wir haben mit ihm unter anderem über seine Meinung zum Urheberrecht und seine Vorstellung über die künftige Überwachung des Internets gesprochen.

Foto: Matthew Plummer-Fernandez

Hallo Matthew! Was hat dich zum Projekt Disarming Corruptor inspiriert?

Matthew Plummer-Fernandez: Auf die Idee zu DC (Disarming Corruptor) kam ich letztes Jahr, weil da gleich mehrere Dinge passiert sind: File-Sharing wurde zunehmend reguliert, die Nachrichten  berichteten regelmäßig etwas über die Bedenken gegenüber Waffen aus dem 3D-Drucker, über Urheberrechtsverletzungen und natürlich die Schlagzeilen rund um Edward Snowden, der gerade die Überwachungsprogramme der NSA enthüllt hatte. Die Idee zum Projekt speiste sich gewissermaßen aus all diesen Bedenken bzw. den daraus resultierenden Reaktionen. Meine Antwort darauf fand ich dann in Kryptographie- und Steganographietechniken, die dabei helfen Daten sicher von A nach B zu übertragen.

Warum sollte man den Disarming Corruptor verwenden?

Matthew Plummer-Fernandez: DC ist für verschiedene Zielgruppen bestimmt. Für 3D-Druck-Enthusiasten hat es einen praktischen Nutzen, nämlich um ihre 3D-Druckvorlagen als getarnte Dateien miteinander zu teilen. Im Kontext der Kunst wird das Projekt mit den gesellschaftlichen Ängsten der Überwachung im File-Sharing konfrontiert.

Foto: Matthew Plummer-Fernandez

Hast du keine Angst, dass DC für kriminelle Dinge verwendet wird, da ja illegale Gegenstände dadurch leichter ausgetauscht werden können?

Matthew Plummer-Fernandez: Nein, davor habe ich keine Angst. Ich denke, wenn man die Situation sorgfältig analysiert, erkennt man, dass Kriminellen eine ganze Reihe anderer Methoden zur Verfügung steht, um illegalen Dateien untereinander auszutauschen. Die Verwendung von DC ist für Kriminelle viel zu unsicher, weil es sich zu einfach nachverfolgen lässt. DC macht File-Sharing zwar sichtbar, aber es steht in einem gewissen Konflikt mit dem Rechtssystem, die manche Dateien als illegal bezeichnen. Es würde jedoch schwer sein, jemanden für den Austausch oder fürs Herunterladen von abstrakten, verzerrten Objekten zu bestrafen, die mit dem richtigen Code und der richtigen Software möglicherweise in ein bestimmtes Objekt verwandelt werden könnten.

Wie denkst du über das Urheberrecht?

Matthew Plummer-Fernandez: Ich denke, das Urheberrecht ist eine sehr veraltete Gesetzeslage zum Schutz von Ideen. Mit der heutigen Technologie kann so gut wie jede Nutzung von Medien als eine Verletzung der Urheberrechte angesehen werden. Denn nur um etwas online ansehen zu können, legt der Browser schon eine Kopie davon auf unserem Computer an.

Ich denke, das Urheberrechtssystem wird von großen Unternehmen missbraucht, um immer mehr und mehr Vermögen mit ihrem Eigentum zu machen bzw. um noch mehr Eigentum anzuhäufen. Ein Teil dieses Besitzes sollte eigentlich Gemeingut sein, so wie der Film „Metropolis“, welcher zunächst frei zugänglich war, später jedoch durch eine Gesetzesänderung im Urheberrecht, an das Corporate IP Management zurückgegeben wurde – eine Gesetzesänderung, die nur zugunsten dieses veralteten Geschäftsmodells gemacht wurde. Wir brauchen neue, passendere Geschäftsmodelle und die geeigneten Gesetze dazu, um diese zu erleichtern. Creative Commons wäre ein gutes Beispiel dafür.

Foto: Matthew Plummer-Fernandez

Ich habe in einem Interview gelesen, dass du gerne eine Community von „Cypherpunk Fabber“ aufbauen möchtest. Wie würdest du so eine Community beschreiben?

Matthew Plummer-Fernandez: Diesen Begriff habe ich von einem Tweet, in dem es um ein Projekt von Bruce Sterling ging. Ich denke, der Begriff beschreibt eine unerforschte kulturelle Überschneidung zwischen denen, die Interesse an der Kryptographie (Cypherpunks) und digitaler Fabrikation (Fabber) haben. Ich glaube aber nicht, dass sich eine solche Nischen-Community wirklich bilden würde. Es würde keine kritische Masse an TeilnehmerInnen erreichen.

Um eine Datei zu „reparieren“, muss man den Code kennen. Wie soll dieser Code innerhalb einer Community geteilt werden und gleichzeitig vor denen geheim gehalten wird, die versuchen würden, die Datei zu entfernen?

Matthew Plummer-Fernandez: Das Problem mit dem Teilen des Codes ist für mich der Schlüssel, um die ironische Seite des Projekts zu erfassen. Wenn man es schafft hinter die angebliche Bedrohung durch DC zu sehen, erkennt man möglicherweise genau dieses Problem: „Wie kann der Code sicher übertragen werden?“ Das erfordert entweder, dass man die Sicherheit noch weiter verstärkt, oder man verzichtet ganz auf diese Gedanken und richtet seinen Fokus auf das Wesentliche.

Foto: Matthew Plummer-Fernandez

Wie wird sich die Überwachung des Internets in Zukunft entwickeln?

Matthew Plummer-Fernandez: Nun, der nächste logische Schritt der Massenüberwachung wäre es auch die Offline-Welt, mit Hilfe des Internes, zu überwachen. Erleichtert wird das sicherlich auch durch das Internet der Dinge. Auch die Vorhersage von Verbrechen und Mustererkennungsalgorithmen werden eine zunehmende Rolle im überwachten Staat spielen. Und dabei spreche ich von Staaten, in denen es völlig legal sein wird, die Menschen dauerhaft zu überwachen. Sobald man zum ersten Mal ins Netz einsteigt, wird man diese Praxis quasi akzeptieren. Ich denke dabei aber weniger an Staaten, sondern vielmehr an Unternehmen. Ich glaube, wir werden künftig quasi unter dem Gesellschaftsrecht großer Unternehmen, wie Google, Facebook oder Amazon leben. Das werden die wachsamen Augen der Zukunft – oder sind es vielleicht heute schon.

Zu sehen sein wird der Disarming Corrupter im Rahmen der CyberArts Exhibition am Ars Electronica Festival 2014 von 4. – 8. September. In den Prix-Foren, am Samstag den 6. September, haben Sie zusätzlich die Möglichkeit persönlich mit den Künstler zu sprechen.

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