Take a Number, Leave Your Head

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Dada, eine künstlerische und literarische Bewegung, die 1916 im Zürcher Cabaret Voltaire gegründet wurde, zeichnete sich durch ihre Ablehnung „konventioneller“ Kunst aus indem sie das Absurde und Archaische auf die Bühne holte und in Lautgedichten die Sprachwelt des Bürgertums bis zum extremen Silbenwirrwarr hin verzerrte.

Im Rahmen des künstlerischen Forschungsprojekts (St)Age of Participation, das durch Mittel des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird, überträgt das Ars Electronica Futurelab gemeinsam mit dem Medienkünstler und Musiker Klaus Obermaier knapp 100 Jahre nach der Geburt von Dada die Mentalität des Absurden als Feldversuch in die technologische Gegenwart.

Seit 2011 forscht (St)Age of Participation zu Publikumsbeteiligung in der bühnenbasierten Medienkunst. 2012 fand unter dem Titel „Letterbox“ bereits eine erste Reihe partizipativer Micro-Performances im Deep Space des AEC statt. Beim Ars Electronica Festival 2014 wird mit „Take a Number, Leave Your Head“ nun ein interaktiver Club mit Drinks und Dada eröffnet, der die Grenzen zwischen Bühnen- und Publikumsraum gänzlich auflöst.

Wir haben uns mit Klaus Obermaier und Christopher Lindinger vom Ars Electronica Futurelab getroffen, um über ihre langjährige Zusammenarbeit und die Pläne für das Ars Electronica Festival 2014 zu plaudern.

Christopher Lindinger, Co-Direktor des Ars Electronica Futurelab (links), und Medienkünstler Klaus Obermaier (rechts) arbeiten im Forschungsprojekt „(St)Age of Participation“ an neuen Formen der Publikumsbeteiligung.

Klaus, zwischen Dir und dem Ars Electronica Futurelab besteht schon eine langjährige Zusammenarbeit. Was waren deine persönlichen Highlights?

Klaus Obermaier: Die Highlights sind sicher jene Performances, mit denen wir die größten internationalen Erfolge erzielt haben. Dazu muss man sagen, dass manche unserer gemeinsamen Stücke ja bereits acht oder gar zehn Jahre lang um die Welt touren, „Apparition“ zum Beispiel oder auch unsere interaktive 3D-Version von „Le Sacre du Printemps“. Mit beiden sind wir immer noch an vorderster Front, sowohl inhaltlich als auch technisch. Obwohl die Stücke vor vielen Jahren entstanden sind, gelten sie heute noch als innovative Projekte im Genre der neuen Medien. Das ist ein schöner Beweis dafür, dass wir damals sehr weit vorgedacht haben. Es wäre toll, wenn uns das auch mit der kommenden Arbeit wieder gelingt.

Christopher, was waren die größten Herausforderungen bei den gemeinsamen Projekten in den vergangenen Jahren?

Christopher Lindinger: Wir hatten immer den Anspruch, in puncto künstlerischem und technologischem Ausdruck Weichen zu setzen für die bühnenbasierte Medienkunst, am Puls der Zeit zu sein. Apparition ist eines der meistzitierten Projekte in diesem Bereich. Das spannende, aber auch herausfordernde an unseren gemeinsamen Stücken war also, dass wir immer etwas Neues ausprobieren und neue Fragestellungen angehen wollten. Darum haben wir dann auch beschlossen, mit (St)Age of Participation ein gemeinsames künstlerisches Forschungsprojekt aufzusetzen, in dem wir uns mit aktuellen Fragen von Co-Kreativität, DIY und Mitmachkultur beschäftigen.

Diese Aufnahme entstand während der Proben zu „Take a Number, Leave Your Head“. Man darf gespannt sein.

Was hat es mit dem Namen des Forschungsprojekts „(St)Age of Participation“ auf sich – vor allem mit dem „St“ in Klammern?

Klaus Obermaier: Dieser Name spielt auf zwei Dinge an. Das erste ist, dass wir uns im Zeitalter der Partizipation, dem „Age of Participation“, befinden. Das zweite ist die Stage, die Bühne also, die nicht zuletzt auch Symbol für professionelle Tänzer, Musiker oder Schauspieler ist. Mit (St)Age of Participation geht es uns nicht darum, dass man als User eine interaktive Installation bedienen kann. Das ist mittlerweile ohnehin gang und gebe. Stattdessen geht es um die Frage, wie das Publikum durch Nutzung interaktiver Technologien, aber eben auch gemeinsam mit professionellen Performern, eine gute Erfahrung machen kann. Aus zwei Gründen ist das ein ganz schön schwieriges Thema. Erstens weiß man nie genau, welche Inputs vom Publikum zu welchem Zeitpunkt zu erwarten sind. Heute ist unser Publikum vielleicht involvierter, produziert vielleicht spannendere Inhalte, als die morgige Gruppe. Damit umzugehen ist eine dramaturgische Herausforderung. Zweitens muss man versuchen, potenziell peinliche Situationen fürs Publikum zu vermeiden, etwa wenn man Personen auf eine Bühne bittet, ohne dass diese Nein sagen oder sich im Hintergrund halten können.

Christopher Lindinger: Zu genau solchen Fragen wollen wir mithilfe innovativer Technologien neue Konzepte finden. Man könnte sagen, es geht um einen Brückenschlag zwischen spielerisch-interaktiver Installation und Bühnen-Performance. Technologische Schnittstellen geben uns die Möglichkeit, die Interaktion zwischen professionellen Performern, der Umgebung und dem Publikum auf eine interessante Ebene zu bringen. Eine Ebene, die dem Publikum Spaß macht und die durch den Aspekt des Mitgestalten-Könnens erlaubt, den Flow einer Performance stärker mitzufühlen, sich mehr als Teil des Geschehens anstatt als Beobachter aus dem Off zu fühlen. Da gibt es ganz viele offene Fragen, bei denen wir eigentlich nur beginnen können, mögliche Konzepte anzudenken. Aber darum ist es ja auch ein Forschungsprojekt.

Beim Ars Electronica Festival 2014 wird unter dem Titel „Take a Number, Leave Your Head“ ein interaktiver Dada-Club eröffnet. Warum habt ihr euch gerade für dieses Thema entschieden?

Klaus Obermaier: Es gibt mehrere Gründe dafür. Einer ist, dass das damals eine Zeit war, in der das Publikum erstmals ein bisschen stärker eingebunden wurde und das entspricht natürlich genau unserem Konzept. Ein zweiter Grund ist, dass es ein Aufbruch in der Kunst allgemein war, bei dem normale Kunstsituationen in Frage gestellt wurden. Außerdem hat uns Dada als Thema sehr interessiert, da es uns sehr viele Möglichkeiten zum experimentellen, absurden Umgang mit Inhalten gibt. Wir möchten spielerische performative Situationen schaffen, in denen sich das Publikum wiederfinden kann, ohne jedoch ein riesengroßes Überthema zu haben, das einen fast erschlägt.

Klaus Obermaier (rechts) bei Proben mit den Performerinnen Barbara Vuzem (links) und Katharina Pfiel (Mitte).

Was findet beim Ars Electronica Festival 2014 genau statt?

Christopher Lindinger: Am Freitag und am Samstag werden wir „Take a Number, Leave Your Head“ jeweils um 17 Uhr im Studio des Ars Electronica Futurelab zeigen. Diese Aufführungen sind als experimentelle Feld-Tests im Rahmen unseres Forschungsprojekts zu betrachten, weniger als finale Stücke. Wir möchten gemeinsam mit dem Publikum unterschiedliche Dinge ausprobieren, schauen, was gut oder was vielleicht weniger gut funktioniert. Wir haben uns dafür ein spezielles Setting überlegt, das einer Bar gleichkommt und die traditionelle Trennung zwischen Bühnen- und Publikumsraum komplett auflöst. Wir schenken auch Getränke aus. Der gesamte Raum wird Bühne sein, eine Art Lounge, in der immer wieder absurde Situationen entstehen, in der Dada-Poesie rezitiert wird und in der es fürs Publikum unterschiedliche Möglichkeiten geben wird, die Umgebung inhaltlich, visuell und auditiv mitzugestalten. Der Titel „Take a Number, Leave Your Head“ spielt auf die Nummern-Automaten an, die man aus Wartesälen beim Amt oder beim Fleischhauer kennt. Der zweite Teil des Titels bezieht sich darauf, dass die Köpfe und Gesichter der Besucherinnen und Besucher eine große Rolle spielen werden.

Wird eine bestimmte Geschichte erzählt oder wird improvisiert?

Klaus Obermaier: Es wird eine bestimmte absurde Atmosphäre und Grundstimmung hergestellt, weniger eine konkrete Geschichte erzählt. Wir haben verschiedene dramaturgische Elemente und Interaktionsebenen konzipiert, aber wann genau diese zum Einsatz kommen, wird je nach Verlauf des Abends teilweise erst spontan entschieden. Klarerweise versuchen wir den Verlauf ein bisschen zu lenken, gar keine Frage, aber trotzdem ist in den Situationen, die da entstehen, noch viel Spontanes möglich. Das ist auch ein sehr wichtiger Aspekt, darum auch wiederum der Bezug zu Dada, wo die Offenheit künstlerischer Aktionen und teils auch die Rolle des Zufalls hochgeschätzt waren.

Artists, Boobs and Cities

Klaus, Du zeigst während des Ars Electronica Festivals 2014 noch ein anderes Projekt in Linz. Worum geht es da?

Klaus Obermaier: Das ist eine Ausstellung in der Galerie Paradigma in Linz. Dort wird es eine interaktive Installation, Portraits von oberösterreichischen Künstlern und verdichtete Städteportraits zu sehen geben. Das ganze heißt „Artists, Boobs and Cities“, also ABC. Bei allen drei Arbeiten geht es darum, wie Eingriffe in die Darstellung scheinbar vertrauter Bilder unsere Wahrnehmung verändern können, etwa durch eine übergroße Darstellung. Vor allem die interaktive Installation gehört dabei dem Genre der Ars Electronica an.

Was können die Besucherinnen und Besucher bei der Installation machen?

Klaus Obermaier: Sie interagieren mit Brüsten …

Take a Number, Leave Your Head. A Cellar Club Piece with Drinks and Dada
FR 5.9./SA 6.9.2014, 17:00
Ars Electronica Futurelab, Studio (max. 50 Personen)

Für den Besuch der Performance „Take a Number, Leave Your Head“ ist ein Ticket erforderlich. Eine limitierte Anzahl an kostenfreien Tickets für Festivalbesucher ist am Tag der Veranstaltung jeweils ab 10 Uhr bei der Kassa im Ars Electronica Center verfügbar. Die maximale Teilnehmerzahl liegt bei jeweils 50 Personen. Die Performance findet im Studio des Ars Electronica Futurelab statt. Der Eingang ins Studio erfolgt durch die Main Gallery des Ars Electronica Centers (Tür im Bereich „Brain Lab“). Einlass ab 16:50 Uhr.

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