Erzählungen für den Wandel

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Credit: tom mesic

Ein Programmpunkt des Future Innovators Summit am Ars Electronica Festival 2014 war die Sunday Lecture im idyllischen Innenhof des Bischofsitzes. Neben dem berühmten Benetton-Werbekampagnen Fotograf Oliviero Toscani nahm auch Derrick de Kerckhove an diesem Symposium teil. Derrick de Kerckhove war langjähriger Leiter des Marshall McLuhan Center, Autor vieler Bücher und ist zurzeit Professor an der University of Toronto. Er beschäftigt sich mit Fragen der Kommunikation und Kunst zwischen Technologie und Medienkommunikation. Gegenwärtig gilt sein Interesse den Wirkungen von Technologien auf das menschliche Bewusstsein.

In seinem Vortrag zum Thema „Was braucht es für den Wandel?“ sprach de Kerckhove davon, dass der Wandel in den Köpfen der Menschen beginnen muss und dass es dazu Erzählungen braucht, um alte Klischees und überholte Denkmuster zu verändern.

Nach der Sunday Lecture hatten Festivalbesucherinnen und –besucher die Gelegenheit, ihm persönlich im Gespräch zu begegnen und auch wir nutzten die Gelegenheit und sprachen mit ihm über seine Gedanken zum Thema Veränderung und Wandel.

Credit: tom mesic

Was müsste Ihrer Meinung nach dringend verändert werden?

Derrick de Kerckhove: Die innere Einstellung. Ich glaube, das ist der Schlüssel, weil die Umwelt erst durch die innere Einstellung jedes einzelnen Menschen konstruiert wird. Die innere Einstellung wird nach Außen projiziert und die Umwelt reagiert auf genau die gleiche Art und Weise darauf. Das gilt für jeden Einzelnen. Wenn wir aber von unserer Gesellschaft sprechen… Ich bin ein Revolutionär. Ich glaube, dass sich all die großen Finanziers, Alle, die geheime Absprachen machen und all die Unternehmen, die vom diesjährigen Prix Ars Electronica Gewinner Paolo Cirio genannt wurden, ändern müssen. Ansonsten ändern wir sie. Das ist es, worum es bei der Revolution geht. Sie zerstören alles. Warum müssen jene Personen, die das meiste Geld generieren, am wenigsten an die Gesellschaft zurückgeben? Das sollte nicht sein! Das muss geändert werden! Wir müssen etwas tun, um das für immer zu unterbinden. Das ist meine Meinung.

Wenn sie alle Informationen über uns wissen, dann sollten wir auch alle Informationen über sie wissen.

Sie haben davon gesprochen, dass wir Erzählungen für den Wandel brauchen. Welche Erzählungen meinen Sie damit?

Derrick de Kerckhove: Also das Thema Erzählungen beginnt für mich immer in der Zeit der Griechen. Ab dem Moment, wenn man beginnt eine Persönlichkeit zu bilden, übernimmt man auch Verantwortung gegenüber seinem Schicksal. Was sagt man über das Schicksal? Man wird geboren, man lebt und dann stirbt man. Es ist eine Einbahnstraße. Die Griechen haben das mit den Moiren, den drei Schicksalsgöttinnen, beschrieben. Klotho spinnt den Lebensfaden, Lachesis bemisst ihn und bestimmt dadurch das Schicksal der Menschen und Atropos schneidet ihn schlussendlich ab. So ist die griechische Erzählung. Das war die erste Erzählung der westlichen Welt. In der postmodernen Gesellschaft gibt es großen Widerstand gegenüber solchen Erzählungen. Sie versuchen alle Erzählungen loszuwerden und wir versuchen sie zurückzubekommen. Wir versuchen wieder das Wesen der Bedeutung des Schicksals zurückzubekommen. Die bisherigen Erzählungen funktionieren in der heutigen Zeit aber nicht mehr. Also müssen wir einen anderen Weg finden, um sie zu erzählen. Unsere momentane Erzählweise ist aber eher seltsam. Es funktioniert nur über Hypertext und das ist ein Problem.

Credit: tom mesic

Sie sagen auch, dass wir drei verschiedene Bereiche unseres Lebens managen müssen, nämliche den physischen, den mentalen und den virtuellen Bereich…

Derrick de Kerckhove: Wir verbringen die meiste Zeit unseres Lebens in diesen Bereichen. Leider ist es immer seltener der mentale Bereich. Unser Leben spielt sich immer mehr auf Bildschirmen ab und wir sind somit immer öfter im virtuellen Raum. Das kann keiner von uns leugnen. Also haben wir uns überlegt, wie man die Menschen dazu bringen kann wieder häufiger im physischen Bereich zu sein. Wir alle fahren mit dem Auto oder mit dem Rad und schweifen währenddessen mit unseren Gedanken ab. Das ist die mentale Ebene. Der virtuelle Raum hat seinen eigenen Code, sein eigenes Verhalten und stellt uns anders dar, als wir sind. Wir beschäftigen uns sehr viel mit Screens und befinden uns häufig in einer multimedialen Umgebung, aber all das ist eigentlich noch gar nicht richtig erforscht. Wir lernen noch immer, wie man diese Dinge benutzt, wobei die besten Userinnen und User unsere Kinder sind. Sie haben ihr eigenes System damit umzugehen.

Credit: Florian Voggeneder

Was genau meinen Sie mit „Ethik der Transparenz“?

Derrick de Kerckhove: Nun, ich bin froh, dass du das fragst. Es basiert darauf, dass Transparenz momentan nicht verfügbar ist. Ich empfehle jedem ins Ars Electronica Center zu gehen und den Ausstellungsbereich „Außer Kontrolle“ anzusehen, bei dem es darum geht, wie sehr wir im Netz verfolgt werden. Es ist wirklich wichtig, das zu tun. Warum? Weil wir noch immer nicht wissen, was wirklich passiert.

Auf der anderen Seite wird Transparenz in Zukunft unser Privatleben bestimmen, das bisher Großteiles undurchschaubar war. Jedes Individuum war bisher sozusagen ko-privat, weil sich jeder, wenn er wollte hinter seinen Mauern verstecken konnte und so seine Privatsphäre schützen konnte. Die spanische Inquisition beispielsweise funktionierte nur, weil sich Personen untereinander beschuldigten. Der Staat hatte keinen Einblick in das Privatleben der Menschen. Das ist eine wahre Geschichte, die passiert ist. Das ist eine Erzählung – eine ziemlich unangenehme. Solche wollen wir nicht mehr. Wie auch immer, ich denke, dass genau das das Problem war. Wie muss eine soziale Ordnung aussehen, um unsere Identität so zu wahren, wie wir es bisher gewohnt waren und wie lange können wir das aufrechterhalten? Eine Identität, die in Datenbanken und Internet-Profilen veröffentlicht wird. Es ist wahr: Die Identität verbreitet sich von selbst. Wie hat das begonnen? Roy Ascott sagte in einer seiner Reden, dass wir mehrere Identitäten besitzen. Er hat absolut Recht. Das ist ein ziemlich revolutionärer Gedanke.

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