Das Leben bietet immer Alternativen

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Wagenhofer1_1000x500Erwin Wagenhofer kurz vor der Premiere von Alphabet in Zürich

Erwin Wagenhofer ist österreichischer Autor und Filmemacher. Mit seinen kritischen Dokumentarfilmen erlangte er bereits mehrfach Auszeichnungen und internationale Aufmerksamkeit. 2005 behandelte er in „We Feed the World“ die für Mensch und Umwelt katastrophalen Folgen einer Nahrungsmittelproduktion, die allein auf Profitmaximierung ausgerichtet ist. 2008 betrachtete er mit „Let’s Make Money“ die Finanzindustrie und zeichnete Geldströme und ungleiche Vermögensverteilung nach. 2013 stellte Wagenhofer „Alphabet“ vor. Der Dokumentarfilm setzt sich kritisch mit den internationalen Bildungssystemen auseinander und bildet den Abschluss seiner Trilogie über die Folgen der Globalisierung.

Beim Prix Ars Electronica 2015 übernimmt Wagenhofer nun die Aufgabe eines Jurors in der Kategorie “u19 – CREATE YOUR WORLD”, der Kategorie für Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren. Momentan ist Wagenhofer intensiv mit den Vorbereitungen zur Kinopremiere von „Alphabet“ in Frankreich am 22. April beschäftigt. Trotzdem hat er sich kurz Zeit genommen, uns ein paar Fragen zu beantworten.

Viele österreichische Dokumentarfilmer beschäftigen sich, genau wie Sie, mit globalen Katastrophen und finden damit große internationale Anerkennung (z.B.: Hubert SauperDarwin’s Nightmare, Nikolaus Geyrhalter – Unser täglich Brot, Michael Glawogger – Workingman’s Death und Whore’s Glory,…) Warum, glauben Sie, beschäftigen sich so viele österreichische Filmemacher mit gesellschaftskritischen Themen?

Erwin Wagenhofer: Es ist natürlich schwer für die anderen Kollegen zu sprechen, aber ich werde immer wieder, vor allem außerhalb Österreichs, mit dieser Frage konfrontiert. Ich selbst beschäftige mich ja gar nicht mit Katastrophen, denn meine Filme beschäftigen sich ja mit ganz alltäglichen Abläufen, die allesamt innerhalb des gesetzlichen Rahmens spielen. Ich glaube, darin liegt auch ein wenig das Geheimnis des Erfolges dieser Filme, dass dann für die Zuseher erkennbar wird: diese Normalität ist der Wahnsinn! Ganz allgemein gesprochen ist der Dokumentarfilm natürlich ein gutes Genre um auf Fehlentwicklungen hinzuweisen, genau in diesem Segment entwickelt ja das „non fiktionale“ Erzählen seine größte Kraft. Warum wir Österreicher darin so erfolgreich sind? Ich nehme an, dass hat etwas mit dem speziellen Humor in diesem Land zu tun und damit das man sich nirgends auf der Welt vielleicht über den Tod so lustig machen kann wie hier zu Lande. Und dann leiden wir natürlich alle noch unter den Phantomschmerzen die uns seit 100 Jahren plagen, als wir uns selbst von einer Donaumonarchie zum Land am Strome drastisch verkleinert haben. Eventuell wurmen uns deshalb die globalen Verwerfungen so.

In Ihrem Dokumentarfilm „Alphabet“ kritisieren Sie unser derzeitiges Bildungssystem. Was läuft schief und was muss Ihrer Meinung nach geändert werden?

Erwin Wagenhofer: Schlagen Sie heute eine Zeitung auf, irgendeine und dann können sie dort lesen was alles schief läuft. Und die Leute die dafür die Verantwortung zu übernehmen hätten und ich spreche jetzt von unseren reichen, westlichen Gesellschaften – wir nennen uns ja großspurig die erste Welt – haben alle formal eine sehr, sehr hohe Ausbildung! In den Finanzzentren zum Beispiel arbeiten an den entscheidenden Positionen nur Menschen mit Universitätsabschlüssen, ähnlich ist die Situation in Konzernführungsetagen… da brauche ich gar nicht kritisieren, da kann sich jeder und jede selbst ein Bild davon machen; mit anderen Worten: Alphabet beschäftigt sich weniger mit Bildung und mehr mit Haltung, die Haltung müsste geändert werden, wenn wir aus diesen Krisen rauskommen wollen.

Wir leben in der Diktatur des Kapitals und das ist kein Naturgesetz sondern ein von Menschen eingeschlagener Weg, wie mir scheint kein guter. Und wir werden von Leuten geführt, die uns seit Jahrzehnten vorbeten es gibt dazu keine Alternative, was eine lächerliche Aussage ist, denn das Leben bietet immer Alternativen, darum heißt es ja Leben.

Sie beschäftigen sich viel mit den Themen Wettbewerb und Leistungsdruck bei Kindern und Jugendlichen – jetzt sind Sie Juror der Kategorie u19 beim Prix Ars Electronica, der ja auch ein Wettbewerb für Kinder und Jugendliche ist. Wie sehen Sie Ihre Rolle als Juror?

Erwin Wagenhofer: Ich war schon öfters in solchen Situationen und stehe der Rolle des Bewertens sehr, sehr skeptisch gegenüber… wiewohl ein künstlerischer oder auch ein sportlicher Wettbewerb nichts mit dem wirtschaftlichen Wettbewerb zu tun hat, der gerade den Planeten ruiniert.

Wagenhofer2Erwin Wagenhofer im Gespräch mit Sir Ken Robinson in Paris

In der Kategorie u19 – CREATE YOUR WORLD haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, ihre Vorstellungen und Ideen zur Welt von Morgen zu realisieren und zu präsentieren. Welche zukunftsweisenden Ideen hätten Sie damals als Jugendlicher eingereicht, wenn es den Prix Ars Electronica schon gegeben hätte?

Erwin Wagenhofer: Einer meiner ersten Kurzfilme hieß „Der stumme Frühling“. Leider hab ich nicht einmal mehr eine Kopie davon. Da haben wir uns mit der Umweltverschmutzung beschäftigt, zu einem Zeitpunkt wo noch niemand auf dieser Welt das Wort Klimaerwärmung gekannt hat. Den hätte ich wahrscheinlich damals eingereicht.

Welche Ideen und Wünsche haben Sie heute als Erwachsener für die Zukunft?

Erwin Wagenhofer: Das wir zu einem neuen, positiven Menschenbild kommen und endlich das alte Denken von lächerlichem Wettbewerb, artifizieller Konkurrenz und unnatürlichem Wachstum hinter uns lassen. Die größte Krise die wir heute haben, ist die Krise des Denkens wenn ich Stephen Hawking zitieren darf und ich wünsche mir, dass vor allem die jungen Leute beginnen, selbst zu denken und nicht gedacht werden! Um das zu unterstützen bin ich ihrer Einladung gefolgt, das ist wirklich meine einzige Motivation gewesen.

1097776_554935347899084_34716811_oErwin Wagenhofer während der Dreharbeiten zu Alphabet

Erwin Wagenhofer wurde 1961 in Amstetten geboren. Er studierte Nachrichtentechnik und Elektronik in Wien, danach folgte eine dreijährige Entwicklertätigkeit bei Philips Österreich. 1983 war er freischaffender Regie- und Kameraassistent beim ORF, seit 1987 ist er freischaffenderAutor und Filmemacher. Er war Lehrbeauftragter an der Donauuniversität in Krems und an der Universität für angewandte Kunst in Wien, 2005 realisierte Wagenhofer den preisgekrönten Dokumentarfilm „We Feed the World“. 2008 folgte die international erfolgreiche Doku „Let’s make money“.2010 stellte Wagenhofer seinen ersten Kinospielfilm „Black Brown White“ vor. In diesem fiktionalen Werk weist Wagenhofer auf eklatante Missstände im Gesellschaftssystem der Industriestaaten auf. 2013 kam sein aktueller Dokumentarfilm „Alphabet“ in die Kinos, der sich kritisch mit den internationalen Bildungssystemen auseinandersetzt.

Informationen zum Prix Ars Electronica 2015 und wie Sie Ihre Arbeit einreichen können, finden Sie auf ars.electronica.art/prix!

Einreichschluss ist der 15. März 2015.

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