Ars Electronica Linz und Volkswagen AG präsentieren neue Ausstellung in Berlin

Ars Electronica Linz und Volkswagen AG präsentieren neue Ausstellung in Berlin:
Wie eine zweite Natur

(Berlin / Linz, 6.6.2013) Mit der Ausstellung „Wie eine zweite Natur“ startet heute, Donnerstag, 6. Juni 2013, das bislang vierte gemeinsame Projekt von Ars Electronica Linz und Volkswagen AG im Berliner Automobil Forum Unter den Linden. Die Ausstellung nimmt die immer weiter gehende technologische Durchdringung von uns Menschen und unserer Umwelt zum Anlass, um nach aktuellen Grenzziehungen zwischen Natürlichem und Künstlichem zu fragen. „Wie eine zweite Natur“ versammelt vierzehn interaktive Arbeiten von KünstlerInnen aus Australien, Brasilien, Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien, Japan und den USA. Die Ausstellung ist bis 28. Juli 2013 im Automobil Forum Unter den Linden in Berlin zu sehen, der Besuch ist kostenlos.

Wie eine zweite Natur

Es gibt nahezu keinen Bereich unseres Lebens mehr, in dem technische Gerätschaften oder Verfahren nicht eine bedeutende Rolle spielen würden. Bei so gut wie allem, was wir tun und lassen, nutzen wir moderne Technologie, sind von ihr umgeben und werden immer öfter gar von ihr durchdrungen. In immer kürzeren Abständen schafft diese technologische Entwicklung neue Tatsachen und ist längst zum bestimmenden Faktor unserer gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, ökonomischen und politischen Realität geworden. Ständig schaffen wir neue Werkzeuge, neue Materialien, neue Medien. In den allermeisten Fällen nehmen wir uns dabei die Natur zum Vorbild, wollen sie erst verstehen, dann kontrollieren und schließlich verbessern. An sich bloß Mittel zum Zweck, eröffnet uns das Studieren von Fauna und Flora ganz nebenbei aber auch neue Einblicke und Erkenntnisse über das Leben auf dem Blauen Planeten. Und es sind längst nicht nur die WissenschaftlerInnen, die den Faden dieser Entwicklung weiter und weiter spinnen. Es sind vor allem KünstlerInnen, die nach neuen kognitiven und emotionalen Zugängen und Interpretationen suchen und sich unserer Sehnsucht stellen, den Kontakt zu unseren Ursprüngen nicht ganz zu verlieren.

Unkonventionelle Beiträge und neue KünstlerInnentypen

Im Rahmen der Ausstellung „Wie eine zweite Natur“ eröffnen insgesamt vierzehn künstlerische Arbeiten unterschiedliche Zugänge und Assoziationen. Die Schau zeigt, in welche Rollen KünstlerInnen schlüpfen, um welche Themen ihre Gedanken und Arbeiten kreisen und auf welch unkonventionelle Weise sie ihre Geschichten oftmals erzählen. Sichtbar wird dabei auch ein neuer Typ von KünstlerIn, einer der von sehr hoher inhaltlicher – genauer: künstlerischer, wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer – Kompetenz geprägt ist und stets die Rolle der Kunst insgesamt im Auge hat. Dies gilt für Agnes Meyer-Brandis und ihre ironische Betrachtung von Wissenschaft und deren Selbstbild ebenso wie für Willem van Weeghel und sein Spiel mit Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung. Naturbeobachtungen wiederum dienen Yasuhiro Suzuki, Akira Nakayasu und Alistair McClymont als Inspirationsquelle für ihre ästhetisch anspruchsvollen, sehr ausdrucksstarken Arbeiten rund um robotische Pflanzen, zwinkernde Blätter und künstliche Tornados. Das brasilianische Künstlerduo Cantoni/Crescenti dagegen rückt in einem ausgefeilten Spiel mit Lichtmustern, Schatten und Reflexionen die BesucherInnen samt ihren Reaktionen und Beobachtungen in den Mittelpunkt.

Vierte gemeinsame Ausstellung von Volkswagen AG und Ars Electronica Linz

Beim bislang vierten gemeinsamen Ausstellungsprojekts von Volkswagen Automobil Forum Unter den Linden und Ars Electronica Linz dreht sich alles um jene Faktoren, die in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Natürliches und Künstliches im alltäglichen Leben von uns Menschen erkennbar, erlebbar und unterscheidbar mach(t)en. Interaktive Arbeiten, Perspektiven und Positionen aus dem Medienkunstnetzwerk der Linzer Ars Electronica unterstreichen dabei einerseits die Relevanz dieser Fragestellung und beleuchten andererseits deren alltäglichen Auswirkungen.

Wie eine zweite Natur – KünstlerInnen und Arbeiten


Rejane Cantoni, Leonardo Crescenti (beide BR): Wall (2012)

„Wall“ ist eine kinetische Skulptur, die auf Ihr jeweiliges (menschliches) Gegenüber reagiert und zwar mittels 30 vertikal angeordneter Aluminiumplatten, die sich in einer linearen Abfolge jeweils um 180 Grad drehen. Der Mechanismus startet, wenn BesucherInnen an einem der Endpunkte der Installation vorbeigehen und setzt eine Art Dominoeffekt in Gang. Die PassantInnen erleben eine ganze Reihe von optischen Reflexionen und Verzerrungen, die auf ihre Raumwahrnehmung einwirken. Durch diese Art der Interaktion mit den menschlichen PassantInnen erhält die Wand etwas wie den Hauch von Persönlichkeit. Das brasilianische Künstlerduo Rejane Cantoni und Leonardo Crescenti hat sich auf audio-visuelle und haptische Interfaces spezialisiert, die das Erkunden von virtuellen, entfernten und hybriden Umgebungen auf natürlichem Wege ermöglichen.
www.cantoni-crescenti.com.br

Willem van Weeghel (NL): Dynamic Structure 29117 (2007-2010)

Das Bildmotiv von „dynamic structure 29117“ befindet sich ständig in Bewegung. Es besteht aus 32 schwarzen Linien, die unabhängig voneinander auf einer weißen Fläche rotieren. An acht Drehpunkten sind jeweils vier Linien angebracht, die individuell angesteuert werden und sich wie Uhrzeiger immer wieder überdecken. Die Bewegung ist stufenlos in beide Richtungen möglich; eine versteckte Steuerung koordiniert die Positionen der Linien und bildet stets neue Formen. Die Strukturen wechseln zwischen Chaos und Ordnung, wiederholende Zyklen gibt es keine.
www.willemvanweeghel.nl

Yasuhiro Suzuki (JP): Blinking Leaves (2003)

Wie ein riesiger Baumstamm schlägt die Skulptur im Raum ihre Wurzeln, doch erst durch hunderte kleine Blätter aus Papier entfaltet sie ihre ganze Pracht. Im Inneren der Installation werden die weißen Blätter nach oben geblasen und zaubern so für wenige Sekunden einen imaginären Laubbaum in die Luft. Die auf Vorder- und Rückseite der mit offenen oder geschlossenen Augen bedruckten Blätter scheinen während des Fallens den BesucherInnen zuzublinzeln, ganz als ob sie die Menschen dazu einladen wollten, sie wieder einzusammeln, den Baum erneut zu befüllen und auf diese Weise einen weiteren Jahreszyklus in Gang zu setzen.
www.mabataki.com

Akira Nakayasu (JP): plant (2010)

„plant“ ist eine interaktive Installation von Akira Nakayasu, die vom Anblick im Wind wehenden Grases inspiriert wurde. Die Roboterpflanze hat 169 künstliche Blätter, die von Steuerelementen in Bewegung versetzt werden. Letztere bestehen aus speziellen Legierungen, durch die es möglich wird, die Blätter mit einem Formgedächtnis auszustatten. Jedes Blatt reagiert eigenständig auf Bewegungen, etwa einer sich nähernden Hand, indem es sich sanft im virtuellen Wind bewegt.
www.nakayasu.com

Takahiro Matsuo (JP): Phantasm (2006)

„Phantasm“ ist eine interaktive Projektion von Takahiro Matsuo (JP) und lässt magische Orte zum Entspannen und Träumen entstehen. BesucherInnen betreten die Welt von „Phantasm“ mit einer leuchtenden Kugel in der Hand. Geheimnisvolle Schmetterlinge reagieren auf ihr Strahlen, fliegen heran und folgen ihm. Sobald die Kugel mit den Händen abgedeckt werden, verschwinden die Schmetterlinge und die BesucherInnen kehrt in die reale Welt zurück. Die mit LEDs ausgestattete Lichtkugel bildet das Interface, über das BesucherInnen mit der virtuellen Welt von „Phantasm“ in Verbindung treten können. Die herumflatternden Schmetterlinge und die Soundkulisse im Hintergrund reagieren auf jede Positionsveränderung der Kugel sowie die Intensität ihres Leuchtens. Erkannt werden die Veränderungen über eine Sensorkamera an der Decke des Ausstellungsraumes.
www.monoscape.jp

Alistair McClymont (UK): The Limitations of Logic and the Absence of Absolute Certainty (2008)

Naturerscheinungen ziehen uns Menschen seit jeher in ihren Bann. Alistair McClymont hat eines davon nach gebaut: Er hat einen Wirbelsturm regelrecht aus seiner natürlichen Umgebung herausgenommen, dieses Phänomen auf seine wesentlichen Grundformen reduziert und mit technologischen Hilfsmitteln wieder zum Leben erweckt. Und genau wie im Original steckt auch in seiner Kopie jenes gewisse Etwas, das für uns von Natur aus unverständlich bleibt und auf das wir Menschen keinen Einfluss nehmen können.
www.alistairmcclymont.com

MASATO SEKINE (JP): Ene-geometrix (2007)

Auf einem Raster angeordnete Peltier-Module erwärmen oder kühlen eine Flüssigkeit im Inneren von Masato Sekines Installation Ene-geometrix. Über einen Trackingball können BesucherInnen diese Temperaturveränderungen beeinflussen. Solange ein Wärmegleichgewicht zwischen Flüssigkeit und Umgebung existiert, ist ein stabiles Linienmuster sichtbar, sobald die Temperaturen voneinander abweichen, wird das Muster durch Strömungen gelöscht. Mit dieser Installation führt Masato Sekine die Beziehung zwischen Natur und Mensch vor Augen, wenn sich durch die Kombination von zwei Gesetzmäßigkeiten – die künstlich gesteuerte Wärmeenergie auf der einen Seite und die Selbstorganisation der Natur auf der anderen – an einem gemeinsamen Ort dynamische Muster ergeben.
www.sekines.net

Ivan Henriques (BR): Prototype for a New Bio-Machine (2012)

Ist es möglich, dass Pflanzen auf Technologie zugreifen können, so wie es wir Menschen auch zu tun pflegen? Der brasilianische Künstler Ivan Henriques erforscht mit seiner interaktiven „Biomaschine“ (PNBM) neue Wege der Kommunikation zwischen Menschen, lebenden Organismen und Maschinen und verwandelt dafür eine tropische Pflanze in einen Sensor. Werden die Blätter der „Homalomena“ aus der Familie der Aronstabgewächse berührt, nimmt die Pflanze diesen Reiz wahr und überträgt ein elektrisches Signal an eine an sie angeschlossene Maschine, die sich daraufhin in Bewegung setzt. Ivan Henriques will diesem Prototyp weitere Forschung folgen lassen, um autonome symbiotische Biomaschinen zu entwickeln, bei denen Pflanzen und Maschinen miteinander verschmelzen.
www.ivanhenriques.com

Matthew Gardiner (AUS): Oribotics (2012)

Matthew Gardiner beschäftigt sich mit ästhetischen, biomechanischen und morphologischen Verbindungen zwischen Natur, Origami und Robotik. Bei der Gestaltung seiner Faltmuster ist die genaue Anordnung von Berg- und Talfalten bestimmend für ihr mechanisches Design. Bei diesem „Naturorigami“ ereignen sich in wenigen Mikrosekunden Tausende von Faltungen und schon ein einziger Faltfehler kann verheerende Folgen für die Lebensfähigkeit eines Organismus haben. Die neueste Generation seiner „Oribotics“ besetzt daher eine Membran aus Polyestergewebe, welches Millionen von Interaktionsvorgängen übersteht und sich zudem so gut wie nicht abnutzt. In jedem „Oribot“ befindet sich ein Näherungsschalter, der erfasst, wenn ein Objekt vor ihm auftaucht. Nähert sich ein beispielsweise eine Hand, öffnet sich die „Oribot“-Blüte, und setzt dabei 1.050 Falten in Bewegung. Alle Makrointeraktionen sind netzwerk- und softwaregesteuert, jede Mikrointeraktion wird an alle anderen „Oribots“ der Installation weitergegeben und löst so die Bewegung von über 50.000 Falten aus.
www.oribotics.net

Keiko Takahashi (JP): Meter Crawler (2008-2013)

Äußerlich unterscheiden sich die „Meter Crawler“ von Keiko Takahashi kaum von handelsüblichen Rollmaßbändern. Zumindest so lange nicht, bis sie mittels einfacher technischer Mittel zum Leben erweckt werden. Nicht zuletzt wegen der auffallenden Ähnlichkeit und der ihnen eigenen Fortbewegung werden die „Meter Crawler“ sofort mit einem bestimmten Lebewesen in Verbindung gerbacht: den Schnecken. Und wirklich, genau wie Schnecken kriechen die Rollmaßbänder über den Boden, den Tisch oder was auch immer. Sie strecken dabei ihre Messelemente etwa fünf Zentimeter aus ihren Gehäusen, krallen sich mit ihren Metallwinkeln in den Boden und ziehen ihre Körper nach.
www.th.jec.ac.jp/~keiko

David Bowen (US): tele-present wind (2010)

Lässt sich die Empfindung einer Windböe oder eines Windhauchs von draußen in einen geschlossenen Raum ohne Fenster übertragen, oder gar von einem Ort zum anderen? Die Installation des US-amerikanischen Künstlers David Bowen macht genau das möglich: Zunächst wird dafür eine getrocknete Pflanze im Freien aufgestellt und mit einem Beschleunigungsmesser ausgestattet, der ihr Schwanken im Wind wahrnimmt. Diese Daten werden nun an 42 weitere getrocknete Pflanzen übertragen, die sich in einem geschlossenen Raum an so gut wie jedem Ort auf der Welt befinden können. Diese Pflanzen wiederum sind allesamt mit mechanischen Elementen ausgestattet, die dafür sorgen, dass ursprünglich gemessenen Windverhältnisse und die durch sie ausgelösten Bewegungen in Echtzeit empfangen und 1:1 ausgeführt werden.
www.dwbowen.com

Agnes Meyer-Brandis (DE): Earth-Core-Laboratory and Elf-Scan (2003-2004)

Mit „earth core laboratory and elf-scan“ hat Agnes Meyer-Brandis eine Forschungsapparatur entwickelt, mit der sie den Geheimnissen unseres Planeten, darunter den hier verborgenen Elfen, auf die Spur kommen will. Ihre „Forschungen“ basieren auf der Annahme, dass es wunderschöne Mikrowelten gibt, die uns Menschen gemeinhin verborgen sind oder ganz gezielt vor uns versteckt werden. Um diese Welten – etwa wunderschöne Korallenriffe, von denen die Künstlerin denkt, dass es sie nicht nur am Meeresgrund, sondern so gut wie überall gibt – doch zu entdecken, hat Agnes Meyer-Brandis ihre ganz eigenen Suchgeräte entwickelt: das „earth core laboratory“ und den „elf-scan“.
www.ffur.de

Daniel Warnke (DE) & deople network e.V.: Window Farms (2012)

Der eigene Garten – der Traum unzähliger StadtbewohnerInnen. Ein Wunsch, der mithilfe von „Window Farms“ ansatzweise erfüllbar wird: Durch kostengünstige vertikale Hydrokulturen und Hilfsmittel wie Plastikflaschen und Schläuchen können an Wohnungsfenstern auf einfache Weise Pflanzen gezogen werden. Daniel Warnke hat sich bei „deople network e. V.“ mit einem interdisziplinären Team zusammengetan, um im Sinne von „Design Thinking“ gegenwärtige und zukünftige Probleme zu lösen und schließlich seine erste „Window Farm“ gebaut. Die aus New York City stammende Idee beruht vor allem auf der gegenseitigen Unterstützung und dem offenen Austausch zwischen den Menschen, die solche Farmen betreiben. Sie bringen ihre Erfahrung und ihr Wissen ein, um künftig Gemüse und Früchte von der eigenen Fensterscheibe ernten zu können.
www.deople.org

Iori Tomita (JP):New World Transparent Specimens (2012)

Der japanische Künstler Iori Tomita macht für seine Serie „New World Transparent Specimens“ aus Meeresbewohnern fantastische Präparate. Iori Tomita lernte als Student Techniken zur Herstellung von Präparaten für wissenschaftliche Analyseprozesse. Indem dabei natürliche Eiweißstoffe aufgelöst werden, wird das Muskelgewebe der Tiere durchscheinend gemacht. Die präzisen Formen der Natur werden mittels Präparationstechnik erst freigelegt und dann eingefärbt. Die festeren und die weicheren Gewebeteile werden dabei unterschiedlich behandelt. Ein solches Präparat herzustellen dauert bis zu sechs Monate, je nachdem wie groß das jeweilige Lebewesen ist. Mit Hilfe einer wissenschaftlichen Analysemethode schafft Iori Tomita bizarre Skulpturen, die sich von den BetrachterInnen am Ende weder als Kunstwerk noch als wissenschaftliches Projekt einordnen lassen.
www.shinsekai-th.com

Pressetext „Ars Electronica Linz und Volkswagen AG präsentieren neue Ausstellung in Berlin“ / PDF

Ein Interview mit den Ausstellungsarchitekten Jürgen Haller und Christoph Weidinger finden Sie samt Fotos am Ars Electronica Blog.

Photo:

plant / Akira Nakayasu / Printversion / Album

Photo:

The Limitations of Logic and the Absence of Absolute Certainty / Alistair McClymont / Printversion / Album

Photo:

Oribotics / Matthew Gardiner / Printversion / Album


Video: tele-present wind / David Bowen