Dr. Manuela Macedonia über Wissenstransfer

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Die Erkenntnisse, die die Neurowissenschaften erarbeiten, haben potentiell einen sehr großen Einfluss auf andere Wissenschaftsdisziplinen. Dr. Manuela Macedonia beschreibt, wie der Wissenstransfer stattfindet und wieso die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen nicht immer ganz friktionsfrei abläuft. Am 15.11. um 18:30 Uhr findet Gehirn Für Alle: Der Fehlerteufel im Gehirn im Ars Electronica Center statt, der letzte „Gehirn Für Alle“ – Vortrag des Jahres.

Sie betreiben Wissenstransfer aus den Neurowissenschaften. Was kann man sich darunter vorstellen?

Wissenstransfer heißt, dass aktuelles und fundiertes Wissen aus den Neurowissenschaften von Experten an Laien in einer verständlichen Sprache erklärt wird.

Was verstehen Sie unter „Experten“?

Wir von Neuroscience for you (www.das-gehirn.com), verstehen unter „Experten“ Menschen, die über ein Doktorat in einer einschlägigen Disziplin verfügen (Neuropsychologie, Kognitivpsychologie, kognitive Neurowissenschaft, Neurolinguistik) und mindestens 3 Jahre in der Grundlagenforschung tätig waren. Experten sollen die Vorgangsweisen der Forschung kennen, d.h. wie Experimente ablaufen, in der Lage sein, Primärliteratur zu konsultieren und aber natürlich auch, im Sinne des Wissenstransfers, komplexe Inhalte einem Publikum, das kein Studium in diesen Fächern absolviert hat, verständlich zu präsentieren.

In anderen Worten kann ein studierter Philosoph oder Pädagoge, der sich neurowissenschaftliches Wissen autodidaktisch angeeignet hat, keinen Wissenstransfer aus den Neurowissenschaften machen.

Richtig, ich denke, dass es dem Publikum gegenüber nicht fair ist. Selbst, wenn gewisse Inhalte nur vereinfacht erklärt werden können, soll das Wissen der Experten – sowohl in der Tiefe als auch in der Breite – sehr weit über das Erklärte hinaus reichen. Nur so kann ein Experte Forschungsresultate interpretieren, seriöse Publikationen aussuchen und Zusammenhänge erkennen. Experten können natürlich nicht alles über das Gehirn wissen, weil das unmöglich ist, aber sie sollen über eine solide Wissensausstattung verfügen. Das Publikum vertraut der / dem Vortragenden, dass die Inhalte stimmen und sie müssen stimmen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Wissenstransfer zu betreiben?

2008 fuhr ich an einem frühen Morgen mit dem Zug von Frankfurt nach Leipzig. Ich bearbeitete gerade einen Fachartikel. Eine Mitreisende fragte mich, was ich da wohl lesen würde und ich erklärte ihr in groben Zügen, worum es ging. Die anderen Personen hörten mit und fingen eine nach der anderen an, alle möglichen Fragen über Sprachenlernen zu stellen. Die Konversation war schön und angeregt. Ich stieg in Leipzig vom Zug aus, die Zeit war verflogen. Danach ging ich ins Büro und erzählte in der Etagenküche am Institut, was ich gerade im Zug erlebt hatte. Die Kollegen sagten, ja, sie würden es auch oft so erleben. So kam mir zuerst die Idee öffentliche Vorträge zum Thema Fremdsprachenlernen und Gehirn anzubieten. Dann, 2010 als ich aus dem Gedanken ein Programm versuchte zu gestalten, erweiterte ich den Themen- und Expertenkreis.

Hier im AEC sind Ihre Vorträge immer ausgebucht. Wie erklären Sie sich das?

Das AEC-Publikum ist äußerst interessiert. Manche Personen haben seit Beginn der Vortragsreihen (Frühling 2010) fast keinen Vortrag ausgelassen. Ich kenne bereits die Gesichter! Zum Teil nehmen die Besucher auch weite Wege auf sich (Niederösterreich, Salzburg, Passau!). Ich merke auch, dass das Wissen dieses Publikums wächst, denn die Fragen berücksichtigen immer mehr das bereits Erklärte, also wird es in und aus den Vorträgen wirklich gelernt. Darüber freue ich mich sehr!

Wie ich mir das erkläre? Ganz einfach: Viele Menschen haben verstanden, wie wichtig Wissen über das Gehirn für ihren Alltag ist und sie holen es sich auch, wenn Häuser wie das AEC ihren Bildungsauftrag erfüllen und einen Rahmen zur Verbreitung dieser Kenntnisse schaffen.

Viele Wissenschaftler sind dafür, dass Wissen im Elfenbeinturm bleibt. Wie stehen Sie dazu?

Wissenschaftler haben einen Auftrag von der Gesellschaft: die Erarbeitung neuen Wissens. Und der Output ist nicht für die Wissenschaft bestimmt, also nicht – l´art pour l´art – sondern für die Menschen außerhalb des Forschungszentrums oder der Universität. Deswegen sehe ich die Sache ganz klar, dass dort, wo es so dringend notwendig ist, wie bei der Gehirnforschung, Wissen innerhalb kurzer Zeit und auf fundierte Weise die Menschen draußen erreichen soll.

Aber gehört Wissen über das Gehirn nicht in der Ausbildung vieler Berufsgruppen? Vor allem jener Berufe, die mit Menschen ganz nah zu tun haben?

Natürlich. Wissen über das Gehirn können Pädagoginnen und Pädagogen – wie bereits im ersten Blogeintrag gesagt – dringend brauchen, aber auch Psychotherapeuten, Juristen und Menschen in der Wirtschaft können davon profitieren. Nur leider ist dieses Wissen noch nicht in Lehr- und Studienplänen verankert. An der Universität Linz halte ich gemeinsam mit einem Kollegen die erste Einführungsveranstaltung dieser Art für Sozialwissenschaftler. Sie ist voll belegt, aber eine Lehrveranstaltung reicht nicht aus.

Was prognostizieren Sie für die Zukunft? Wie lang wird es dauern, bis Wissen über das Gehirn tatsächlich auch Institutionen der Aus- und Fortbildung erreicht?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt Menschen, die in den verschiedenen Disziplinen Angst haben, sich dem Wissen aus der Neurowissenschaft zu öffnen, weil ihre Weltbilder dadurch an Gültigkeit verlieren würden, und ihre Macht wäre gefährdet. Das was sie 30 Jahre gemacht haben, wird auf einmal in Frage gestellt, das ist schwer zu verkraften. 2008, als ich noch in Leipzig war, wurde ich als Vertreterin des Max-Planck-Instituts zu einem interdisziplinären Symposium in der Nähe von Hannover eingeladen. Die Frage, die es zu erörtern gab, war, ob die Pädagogik Wissen über das Gehirn braucht. Fazit der Tagung (sehr vereinfacht): Wir – Pädagogen – haben es bereits gewusst, nur anders genannt, wir brauchen die Neurowissenschaften nicht. Lesen Sie selbst die Publikation, die die verschiedenen Positionen in diesem Symposium fasst (Literaturangabe unten stehend)!

Die Ablehnung findet man aber auch in anderen Bereichen, wie z.B. in gewissen Richtungen der Psychotherapie. Man will mit Gehirn wenig zu tun haben, weil es ja um den „Geist“ geht oder sogar um die „Seele“! Gerade gestern ist mir zufällig die Zeitschrift „Imagination“, das offizielle Organ der Österreichischen Gesellschaft für angewandte Tiefenpsychologie und allgemeine Psyschotherapie (ÖGATP) in die Hand gekommen. Zufällig habe ich einen Leserbrief erwischt, in dem der Verfasser ein neues Buch vehement angreift, das versucht die Katathym Imaginative Psychotherapie durch Wissen aus der Neurowissenschaft zu untermauern.

Der Leserbrief war schön geschrieben aber inhaltlich katastrophal: Fingererhebend, wie eine moralische Predigt lesen sich die völlig inhaltslosen Ausführungen. Keine wissenschaftlichen Argumente, lediglich der Vorwurf (von allen möglichen Seiten erhoben), man könne den Geist des Menschen ja nicht auf das Zusammenspiel von Neuronen reduzieren. Das musste sich auch schon Donald Hebb anhören, als er 1949 (!) sein Buch „The organization of behavior“ veröffentlichte. Er bekam zu Lebzeiten nicht die Anerkennung, die er verdient hätte und durch die Blockade von Hebb blieben viele Disziplinen in einem Dornröschenschlaf aus dem sie jetzt gerade erwachen! Wohlbemerkt: Heute ist Hebb der meistzitierte Autor der Neurowissenschaften!

Die Linzer Brain Days 2012 sind aber ein klarer Beweis dafür, dass Pädagoginnen und Pädagogen Wissen über das Gehirn wollen. Was sagen Sie dazu?

Auf den Linzer Brain Days hatten wir „nur“ 220 Teilnehmer/innen, leider aus Kapazitätsgründen. Anmeldungen hätten waren viel mehr da als Plätze in der Location. Ja, es gibt sehr viele Pädagoginnen und Pädagogen, die nach Wissen über das Gehirn „durstig“ sind. Deswegen investieren sie auch Freizeit und Geld in ihre Professionalisierung und vor allem viel Energie. Das ist wunderschön zu sehen. Es sind jene, die sich die Ärmel aufkrempeln, und selbst, wenn sie nicht aus dieser Disziplin kommen, jene, die sie sich peu à peu hinein arbeiten. Sie erweitern ihre Horizonte, halten Schritt mit der Zeit. Natürlich sind es nicht jene, die meinen, sie bräuchten kein Wissen aus den Neurowissenschaften.

Es kann natürlich auch sein, dass sich zwischen dem oben erwähnten Symposium in der Nähe von Hannover und Oktober 2012 viel verändert hat. Möglicherweise ist das Bewusstsein in diesen vier Jahren stark gewachsen, oder es sind die Österreicher/innen, die enthusiastischer sind als jene Pädagoginnen und Pädagogen, die ich in Norddeutschland antraf.

Was mir jedoch fehlt, ist eine institutionalisierte Verbindung zwischen Pädagogik und Neurowissenschaft, damit dieses Wissen regelmäßig zur Verfügung steht und das für alle, die es brauchen. Eine Veranstaltung wie die Brain Days ist eine punktuelle Versorgung mit aktuellen Kenntnissen, zu der nur ein verschwindender Bruchteil der Interessierten einen Zugang hat. Zum Beispiel konnten wir auch vielen Studentinnen und Studenten der Pädagogischen Hochschulen OOE, die gerne gekommen wären, keinen Platz in der Veranstaltung anbieten. Das ist schade, denn ausgerechnet angehende Pädagoginnen und Pädagogen könnten mit einem neuartigen Paradigma ihr Berufsleben angehen.

Sie meinen also, dass das, was Sie als Institutionalisierung bezeichnen, die „Ehe“ zwischen Pädagogik und Neurowissenschaft sein könnte?

Ja, so kann man es auch sagen: Einmal im Jahr Brain Days ist nicht genug. Es müssten Pädagogen und ausgebildete Neurowissenschaftler gemeinsam am Werk: Der Output dieser interdisziplinären Arbeit wären Werkzeuge für den pädagogischen Alltag mit einer neurowissenschaftlichen Basis, sozusagen „Unterrichtsrezepte“, die aufgrund des Wissens über Lernprozesse und das Gehirn effizienter sind als die vorhandenen. Damit meine ich nicht, dass nur Neues entwickelt werden sollte. Alte bewährte Vorgangsweisen haben auch ihre Berechtigung. Oftmals ist Gutes „aus der Mode“ geraten, im Zuge von Reformen und Trends unbegründet weggeräumt worden. Bezüglich Vermittlung von Fremdsprachen könnte ich auch ins Detail gehen, ich hätte viele Beispiele!

Bundesministerin Frau Dr. Schmied hat die Brain Days eröffnet. Konnten Sie mit ihr über Ihre Vorstellung sprechen?

Ich konnte mit der Frau Bundesministerin darüber leider nicht sprechen, da die Zeit sehr knapp bemessen war. Vielleicht ergibt sich eine andere Gelegenheit. Es wäre großartig, wenn auch sie die Notwendigkeit dieser „Ehe“ zwischen Pädagogik und Neurowissenschaften bestätigen würde. Sie könnte auch Maßnahmen diesbezüglich einleiten.

Auf jeden Fall war es großartig, dass Frau Dr. Schmied die Brain Days eröffnet hat. Das hätte ich mir nicht in meinen kühnsten Träumen vorgestellt. Sie hat dadurch signalisiert, dass auch sie für den Wissenstransfer aus den Neurowissenschaften in die Pädagogik ist. Darüber freue ich mich sehr. In ihrer Rede hat sie auch sehr treffend gesagt, dass die Köpfe der Schulkinder unsere Zukunft sind. Je besser sie sich aufgrund der Schule entwickeln, umso größer sind nicht nur die Chancen jedes Einzelnen, sondern auch die Chancen unserer Gesellschaft. Das ist Realität. Wir können auf das Potential keines einzigen Kindes verzichten, denn Europa hat fast keine Industrie mehr. Und dort, wo welche ist, ist sie eine technologiebasierte Industrie, nicht mehr die des Fließbandes. Unsere Zukunft ist Brain Power. Daher geht es tatsächlich darum, dass die Pädagogik – jetzt visionär ausgedrückt – sich zur High Tech der Gehirnprägung entwickelt.

Literatur
Monika C. M. Müller / Gregor Terbuyken (Hg.):
Lerntheorien: Von der Wissenschaft in die Praxis und zurück – Loccumer Protokoll Nr. 15/10, Rehburg-Loccum 2010 ISBN 978-3-8172-1510-2, 198 Seiten http://www.loccum.de/protokoll/shop/shop.html

Harald Ullmann, Eberhard Wilke (Hg.)
Handbuch Katathym Imaginative Psychotherapie
Huber, Bern; Auflage: 1., Aufl. 2012
ISBN-10: 3456849885, 581 Seiten

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