Possible Futures – Gespräch mit Kuratorin Giselle Beiguelman

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Im Oktober 2012 fand Possible Futures in Sao Paulo statt, eine Konferenz, die sich mit dem Thema der Nachhaltigkeit unserer aktuellen Kulturgüter beschäftigt. Gerfried Stocker und Manuela Naveau haben an der Konferenz mitgearbeitet, die Kuratorin Giselle Beiguelman verrät im Interview, wie es zu dieser Zusammenarbeit gekommen ist und was die zentralen Themen der Konferenz waren.

Was war die Motivation, diese Konferenz zu Organisieren?

Die Motivation war die Herausforderung, über den Stand der Erinnerung, des Speichers (auf Englisch: Memory) nachzudenken, im Kontext der Digitalisierung unserer Kultur auf all ihren Ebenen. Wenige Wörter sind so allgegenwärtig wie Speicher bzw. Erinnerung. Erinnerung war im historiographisch, neurologisch oder psychoanalytisch besetzt, aber heutzutage ist sie beziehungsweise der Speicher ein wichtiger Aspekt unseres täglichen Lebens. Durchs Speichern ist Erinnerung quantifizierbar geworden, sie ist eine Kennzahl und auch ein Indikator unseres sozialen Status. Es ist geradezu ein Fetisch rund um Speichermenge entstanden: Wieviel Speicher hat dein Computer? Deine Kamera? Deine Handy? All diese Dinge? Nur das? Erinnerungen werden gekauft, sie werden transportiert, und sie gehen in der digitalen Welt verloren oder werden gelöscht. Paradoxerweise steht die verbreitete Verwendung dieser Wörter im Gegensatz zur methodologischen Leere, wenn es um Kulturgüter geht, die mit diesen Speicherformen in Verbindung stehen, den digitalen Medien.

Wieso haben Sie dieses Thema ausgewählt?


Christiane Paul

Im eben erwähnten Kontext werden einige Frage wesentlich: Wie erhalten wir die Erinnerung an kulturelle Gegenstände, die sich einer Objektivierung verschließen, die oft nur kontextbezogen existieren – zum Beispiel Netzkunst – und deren Verarbeitung ihr Löschen beinhaltet? Wie geht man mit so instabilen Erinnerungen um, die nur so lange halten, wie die Lebensdauer des Equipments, mit dem sie erstellt wurden, und deren Typologie nicht mit den heutigen Modellen von Museumkatalogen, Archiven und Sammlungen einhergehen? Wie ist es heutzutage möglich, nicht über unseren kulturellen Nachlass nachzudenken und ihn als wirtschaftliches Problem und als eine Dienstleistung an einem ethischen Code zu begreifen? Schließlich werden persönliche Erinnerungen immer mehr von Unternehmen – die als riesige Datenspeicher in Erscheinung treten – moderiert, und zwar mittels Services, die abgedreht werden, sobald sie für den Markt nicht mehr interessant genug sind. Um sich nicht einer katastrophalen Hypothese hinzugeben, haben wir vorgeschlagen, über die neue Bedeutung von Erinnerungen und Speicher und den entsprechenden Technologien nachzudenken.

Gemeinsam mit Ana Magalhães (Museum für zeitgenössische Kunst an der Universität von Sao Paulo), Manuela Naveau (Ars Electronica Export) und Gerfried Stocker haben wir beschlossen, über Strategien und Methoden zur Konservierung Digitaler Kunst nachzudenken, ebenso wie über den Prozess des Digitalisierens von Sammlungen, inklusive Studien zum Thema Organisation und Verfügbarkeit von Informationen. Außerdem war uns wichtig, möglichst viele Leute einzuladen, um Case Studies und Programme zu präsentieren und den Aufstieg von Datenbankästhetiken zu analysieren, ebenso wie das aufkommende Feld der Informationskuration.

Basierend auf diesen Ideen wurde das Symposium in vier Themenschwerpunkte geteilt: Neue Erinnerungen: Archive der Zukunft; Zwischen Vergangenheit und Zukunft: Die Konstruktion der Gegenwart; Der Web-Sammler: Alternative Archive und Museen; Informationskuratoin und Datenbankästhetik.

Das erste Thema war neuen Ansätze im Bereich der Museen, des Archivierens und Speicherns, die sich mit dem Erhalten und Sammeln digitaler Kultur auseinandersetzen, gewidmet. Im zweiten Teil wurden Analysen und Erfahrungswerte mit der Digitalisierung verschiedenster nicht-digitaler Sammlungen präsentiert. Der dritte Themenblock zeigte persönliche und informelle Zugänge zum Archivieren, sowie solche, die dem Underground entstammen. Im letzten Block wurden die aufkommenden Probleme im Archivierungsprozess sowie Lösungsansätze aufgezeigt.

Was können wir Ihrer Meinung nach von der Konferenz mitnehmen und im Alltag einsetzen?

Gerfried Stocker

Aus Sicht des Instituts war es eine großartige Erfahrung, so eine große Konferenz zu organisieren, mit Partnern, die ein Jahr lang verstreut über den Globus vorbereitet haben, verschiedenste Quellen an Unterstützung anzuzapfen und über große öffentliche Ressourcen zu verfügen.

Aus konzeptueller Sicht gesehen haben einige Themen und Diskussion gezeigt, wie wichtig die Diskussion um neue Methoden und Herangehensweisen, um digital Kunst und Kultur zu erhalten, geworden ist, und dass man auch ein Auge auf eine größer werdende Dokumentationsindustrie werfen sollte, die die Aufnahme beinahe wichtiger erscheinen lässt, als die Aktion selbst.

Die Debatten zeigten auch, auf verschiedene Arten, wie nicht-institutionelle Initiativen die Paradigmen der traditionellen Archive und Museen aufbrechen und wie wichtig es ist, die Politik der Datenbankkultur und ihre gemeinsame Wahrnehmung zu beachten.

Wie war die Atmosphäre während der Konferenz?


Innenansicht des Instituts

Entspannt, freundlich und bequem, sehr brasilianisch, würde ich sagen. Gleichzeitig auch sehr international, mit Leuten aus so vielen verschiedenen Ländern und Kulturen, die sich an einem Ort austauschten.

Wir haben ein wenig Zeit für ein kulturelles Programm reserviert, um unseren Gästen ein wenig mehr zu zeigen, als bloß die Universität. Wir haben die Pinacotec – das älteste Museum Sao Paulos, das über eine ausgezeichnete Sammlung brasilianischer Kunst aus dem 19ten Jahrhundert verfügt und um ältesten Teil der Stadt gelegen ist – , die Sao Paulo Biennale, die im Modernistenpark Ibirapuera angesiedelt ist, sowie das Museum für Zeitgenössisches Kunst, das sich noch in Bau befindet, besichtigt.

Ich habe einiges als Prix-Jury-Mitglied lernen können, wie die Ars Electronica Arbeit und soziale Aktivitäten verknüpft und gemeinsam mit Ana Magalhães haben wir die entspannenden und produktiven Kulturaktivitäten konzipiert.

Die grüne Atmosphäre der Universität von Sao Paulo, mit den trophischen Gärten und der einzigartigen Architektur des Gebäudes der Architektur und Urbanitätsfakultät – mit Räumen ohne Türen und Balkonen ohne Geländer – waren ein wichtiges Element für die wunderschönen Tage, die wir im Oktober geteilt haben.

Wie schauen die Pläne für die Zukunft aus, wie lauten Ihre persönlichen Pläne, wie gehen Sie mit Ihrem kulturellen Erbe um?

Wir haben eine vollständige Videodokumentation des Symposiums veröffentlicht, auf Portguiesisch und Englisch und wir aktualisieren regelmäßig unseren Blog, unsere Facebook-Seite und unsere Pinterest-Pinnwand. Außerdem gibt es eine fantastische Dokumentation der Konferenz via Ars Wild Card.

Außerdem steht gerade die Produktion des Buchs zum Symposium an, eine zweisprachige Ausgabe, die im Oktober 2013 veröffentlicht wird. Das Buch wird ein Kapitel von Oliver Grau beinhalten, der leider nicht zur Konferenz kommen konnte.

Ich bin jetzt als Koordinatorin für das Media Center der Fakultät für Architektur und Urbanität der Universität von Sao Paulo verantwortlich (INTERMEIOSFAU – Ein riesiges Archiv mit Videos und Fotografien, das die Sammlung jetzt mit digitalen Produkten und Design erweitert). Außerdem organisiere ich gemeinsam mit ein paar Studierenden eine Forschungsgruppe zum Thema Digitaler Kunst und Technologien für die Erhaltung von Kulturgütern.

Was mein persönliches Erbe angeht: Meine eigene Erfahrung als digitale Künstlerin aus der Jurassic Park – Zeit des Internets könnte eine Fallstudie sein. Einige meiner „Klassiker“ wie The Book After The Book (1999) oder Sometimes Always / Sometimes Never (2007, Teil der ZKM-Sammlung) wurden „Opfer“ programmierter Obsoleszenz. Das letzte Werk, beispielsweise, wurde für die YOUser – Ausstellung des ZKM komplett neu aufgebaut, Monate nachdem es Teil der Museumssammlung wurde. Ich glaube nicht, dass alles verloren ist, aber wir müssen uns ernsthaft Gedanken darüber machen, wie wir Dinge speichern und für die Nachwelt festhalten, ohne der Notwendigkeit der Interfaces, die wir vorher gebaut haben. Diese Interfaces sind, besonders wenn wir über Netztechnologien sprechen, sind mit Verbindungsgeräten (Übertragungsgeschwindigkeiten, Router, Backbones, Bildschirmauflösungen, Provider, etc) verbunden, die schlicht nicht erhalten werden können. Netzkunst ist kontextuelle Kunst, wie es Christiane Paul festhält, und ich gebe ihr Recht. Trotzdem wurden alle unsere Technologien und Zugänge zur Erhaltung (Museen, Archive, etc.) im 19ten Jahrhundert erfunden, basierend auf dem Verhältnis zwischen dem Objekt und seinem Drumherum. Digitale Kultur ist anders, sie verlangt den Interfaces immer mehr und mehr politisches ab. Neue Emulierungsprozesse könnten ein interessanter Startpunkt für diesen Nachdenkprozess sein. Um Domenico Quaranta zusammenzufassen, würde ich sagen, dass die emulierte Kopie uns retten könnte. Die Alternative lautet, dass wir uns auf unsere unmittelbare Gegenwart beschränken, aber das wäre langweilig und narzistisch.

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Possible Futures (International Symposium)

Chairs

Giselle Beiguelman (FAUUSP)
Ana Gonçalves Magalhães (MAC-USP)

Co-chair

Gerfried Stocker (Ars Electronica)

Organization

Giselle Beiguelman (FAUUSP)
Ana Magalhães (MAC-USP)
Manuela Naveau (Ars Electronica)

Realization

FAUUSP

Co-realization

Ars Electronica

Sponsor

Fapesp

Support

CPC-USP
Capes
Austrian Embassy in Brazil

Participants