Unter Menschen

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40 traumatisierte Schimpansen, zuvor in einem Labor als Versuchsobjekte für einen Pharmakonzern eingesetzt und mit HIV- und Hepatitis-Viren infiziert, werden nun in einem ehemaligen Safaripark in der Nähe von Wien von vier Pflegerinnen betreut. Am DO 16.1.2014, 20:00, gibt der Filmemacher Christian Rost bei „Deep Space LIVE“ persönlich Einblick in diese berührende Geschichte. Daran anschließend diskutieren mit ihm Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter der Ars Electronica, und Dr. Manuel Selg, Professor für Molekularbiologie an der FH OÖ Campus Wels. Für das Ars Electronica Blog beantwortete Christian Rost schon vorab einige Fragen zum Film.

Bildcredit: DENKmal-Film / WDR / ORF

Welche Gefühle und Gedanken hatten Sie bei den Dreharbeiten?

Die Affen – nach über 30-jähriger Isolationshaft – mussten erst ganz langsam sozialisiert werden. Sie haben erst in schwierigen und teilweise dramatischen Begegnungen lernen dürfen, auf Artgenossen zu treffen. Sie haben im wahrsten Sinne des Wortes überhaupt erst einmal „begreifen“ dürfen, was es bedeutet, einen anderen Affen zu berühren, zu riechen, in den Arm zu nehmen. Darüber hinaus haben die Affen gelernt, was es heißt „Affe“ zu sein. Endlich konnten sie sich bewegen, klettern und in einer Gruppe leben. Sie mussten natürlich auch lernen, sich zu arrangieren, zu streiten und zu lieben. Heute machen die Affen den ganzen Tag „Politik“. Nichts ist ihnen wichtiger, als zu sehen was der oder die anderen machen, einzugreifen, zu manipulieren, Allianzen zu schmieden. Das alles wurde und wird begleitet von vier Pflegerinnen. Zwei von Ihnen haben die Affen schon im Labor versorgt.

Gefühle und Gedanken entwickeln sich weit im Vorfeld des eigentlichen Drehs. Tatsächlich bereits beim Finden der Geschichte! Wie so oft war es hier Zufall. Die besonderen Stoffe kann man nicht suchen, sie müssen einem zufallen. Themen wie Tierschutz oder Tierversuche hatten bei mir keine besondere Priorität. Dem Kollegen Claus Strigel (wir kannten uns noch nicht) erzählte ich von dem geplanten Freigehege für traumatisierte Schimpansen in Gänserndorf. Oberflächlich betrachtet eine interessante Geschichte für eine tolle Reportage. Doch wir gingen der Sache etwas nach und stießen Schicht um Schicht auf einen Stoff, der eine wirklich große Erzählung versprach. Nach einem ersten Besuch in Gänserndorf – eine unglaublich intensive Erfahrung mit sich überschlagenden Gefühlen – beschlossen wir den Film gemeinsam anzugehen.

Hinter der Nachricht von dem „Freigehege für traumatisierte Schimpansen“ entdeckten wir einerseits Ansätze der Crime Story um die illegalen Importe und die skandalöse Isolationshaft, in der die Schimpansen bei der Immuno gehalten wurden. Auf der anderen Seite faszinierte uns die Geschichte der Betreuerinnen Annemarie und Renate, die sich über fast 20 Jahre hin von Mitarbeiterinnen bei den Tierversuchen zu Therapeutinnen der gequälten Schimpansen entwickeln konnten. Gefangen auf der anderen Seite des Gitters und eine wahre Heldinnen-Geschichte. Und hinter diesen beiden spannenden Strängen taten sich für uns die großen Themen unserer Zivilisation auf: Schuld, Verantwortung, Wiedergutmachung. Sicherlich auch mit einem Fragezeichen versehen, denn der Englische Titel lautet „Redemption Impossible“.

Diesen großen Themenkomplex an Hand einer spannenden und berührenden Geschichte zu erzählen, so unsere Gedanken und Gefühle, ist eine große Chance. So geht es in „Unter Menschen“ sicherlich um Tierversuche und Tierschutz, aber dahinter tun sich – finde ich – viel größere Themen auf.

Tatsächlich waren wir höchst elektrisiert von der Geschichte.  Allerdings stießen wir auf eine hermetische Glocke des Schweigens. Fast als würde man mühsam verheiltes Narbengewebe behandeln wollen. Manche, die bei den Importen auf politischer Ebene involviert waren, gaben uns streng anonym vorsichtige Hinweise. Den Satz „Ich wusste, dass dies eines Tages doch noch ans Licht kommen wird“ hörten wir oft. Umso dankbarer sind wir den Zeitzeugen, die dann doch den Mut fanden, auszupacken – wie Dr. Ulrike Goldschmid, Dr. Daniel Slama oder Josef Schmuck. Teilweise mit schmerzlichen Schuldgefühlen vermischt, den illegalen Import der Schimpansen trotz aller Bemühungen nicht verhindert zu haben. Aber auch bei den beiden Betreuerinnen Renate Foidl und Annemarie Kuti hat es lange gedauert, bis sie bereit waren, über die Vergangenheit zu sprechen. Wir sind ihnen für ihren Mut unglaublich dankbar, denn auch heute noch gilt es für sie, jede Formulierung abzuwägen, denn das Thema ist mit vielen Formulierungsgeboten und Sprechverboten belegt.

Bildcredit: DENKmal-Film / WDR / ORF

Neben den Menschen haben uns schließlich die Schimpansen besonders fasziniert. Die Kollegen sind einfach großartig! Listig, gerissen, liebenswürdig – wie wir auch. Besonders bewundernswert ist ihre Fähigkeit, trotz der jahrzehntelangen Isolation, die Angebote der Begegnung und des Lebens in Gruppen annehmen zu können. Der Grad der Traumatisierung ist natürlich sehr unterschiedlich. Am schlimmsten geschädigt sind die Schimpansen, die wegen Ihrer HIV-Infizierung ihr ganzes Laborleben lang nur Menschen in „Raumanzügen“ sehen konnten. Die Schimpansen erkranken ja nicht an Aids, sie sind „nur“ Virenträger. Offensichtlich hat selbst der eingeschränkte Kontakt zu den Menschen im Labor den Nicht-infizierten geholfen, kontaktfähig zu bleiben. Aber ganz entscheidend ist, dass selbst die nicht gruppierbaren Schimpansen eindeutig ausstrahlen, ein lebenswertes Leben in Gänserndorf zu führen. Sie müssen sich eben mit dem liebevollen Kontakt zu den menschlichen Zweibeinern bescheiden – und haben übrigens alle ihr Freigehege bekommen. Auch die Menschen sind eben nicht nur gerissen, sondern auch liebenswürdig… das ist durchaus die komplexe Message des Films.

Am meisten berührt hat uns schließlich – wie alle Zuschauer auch – der Moment, indem die Schimpansen zum ersten Mal in ihrem Leben ins Freie treten – oder nicht. Denn wir wussten: Hier wird der Lebenstraum der Betreuerinnen wahr. Wovon die Schimpansen träumten wussten, wir ja nicht. Ein unglaublicher Aufwand, eine riesige Investition von Gut Aiderbichl. Aber was, wenn die Schimpansen nur Angst vor dem unbekannten Freiraum haben? Was, wenn sie auf dieses Geschenk zu verzichten beschließen? Niemand konnte wissen, ob sie hinaus gehen werden. Ein anderer Moment war immer wieder, den Schimpansen in die Augen zu schauen. Denn die gucken ja wirklich zurück. Einladend und abweisend. Vertraut und anders. Wir spürten da einerseits eine große Verwandtschaft und Nähe und anderseits – und das gleichzeitig – eine immer wieder irritierende Fremde. Wo bist du? Was denkst du? In die Seele des Schimpansen haben wir nicht schauen können, aber manchmal kam es einem vor, als würde man unvorstellbar tief in die Vergangenheit gucken. Sehr eigenartig.

Haben die Forschungen mit den Affen der Pharmafirma konkret etwas gebracht? Hat sich der „Sinn“ dieser Leben ausgezahlt?

Nein. Als die Schimpansen Mitte der 1980er-Jahre illegal gefangen und nach Österreich transportiert wurden, hatte die Aids-Hysterie in Europa gerade ihren ersten Höhepunkt erreicht. Wissenschaftler, Regierungen, Händler. Alle wussten, wer jetzt als Erster einen Impfstoff finden würde, wäre der große Gewinner. Bedenken wurden hintangestellt. Zur Verantwortung ist dafür nie jemand gezogen worden. Die Haltungsbedingungen waren damals – so grausam sie waren – legal. Der einzig mögliche Weg, dagegen anzugehen, wäre gewesen, die gegen das Cites-Abkommen verstoßenden Importe, anzuklagen. Warum das letztendlich nicht gelungen ist, darüber u.a. erzählt der Film.

Bildcredit: DENKmal-Film / WDR / ORF

Glauben Sie, berühren uns Bilder von Schimpansen aus Versuchslabors mehr als Bilder von Labormäusen oder von gar neuartigen und „unnatürlichen“ Kreaturen, die mit synthetischer Biologie von Grund auf neu geschaffen werden?

Grundsätzlich fasziniert der Schimpanse den Menschen. Allein durch seine Vorgeschichte. Seine Verwandtschaft, seine emotionalen und auch intellektuellen Ähnlichkeiten. Menschenaffen sind genetisch gesehen unsere nächsten Verwandten. Außerdem zeigen sie Verhaltensweisen, die sie als individuelle Personen erkennen lassen. Ich weiß nicht, welche Bilder mehr berühren. Tatsächlich haben Schimpansen seit einigen Jahren eine Lobby. So fordert beispielsweise das Great Ape Project drei Grundrechte für Menschenaffen: das Recht auf Leben, den Schutz ihrer individuellen Freiheit und das Verbot der Folter. Aktuell wird in den USA ein Prozess vorbereitet, Schimpansen Persönlichkeitsrechte zu verschaffen.

Was macht eine Kreatur eigentlich aus? Ist der Menschenaffe wenigstens Persona non grata? Wer findet Aufnahme in den Kreis der moralisch Gleichen? Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans? Die Bonobos nicht zu vergessen! – Und warum dann nicht gleich auch Mäuse und Klone? „Unter Menschen“ stellt diese Fragen. Und das sind keine Fragen nach Bildern, sondern nach der Ethik. Die Zahl eingesetzter Versuchstiere in den Laboren der Welt steigt Jahr für Jahr. Forscher sehen darin den Nutzen für den Menschen, Kritiker halten die Experimente für überflüssig – wie im Fall der Schimpansen aus Gänserndorf  belegt! Sicher ist, dass eine riesige Branche gut daran verdient. So wurden in den bundesrepublikanischen Bundesländern 2012 knapp 3,1 Millionen Wirbeltiere in Tierversuchen oder zu anderen wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt. Das sind 170.000 Tiere mehr als im Vorjahr und gut einen Million mehr als vor zehn Jahren.

Und die synthetischen Wesen sind sowieso schon bald unter uns. Im Jahr 2013 haben zwei amerikanische Bioscience-Unternehmen beim europäischen Patentamt beantragt, an Schimpansen gentechnische Veränderungen vornehmen zu dürfen, um ihr Immunsystem dem Menschen ähnlicher zu machen. So lassen sich Affen „bauen“, um sie vermeintlich noch effektiver in der Impfforschung einsetzen zu können.

Bildcredit: DENKmal-Film / WDR / ORF

Wissenschaft und Leben – wie passt das Ihrer Meinung nach zusammen?

Das eine ist ohne das andere heute undenkbar. Wissenschaft ist Aufklärung, ist Neugier, ist Zivilisation. Ohne Wissenschaft gäbe es die moderne Gesellschaft in ihrer jetzigen Form nicht. Im positiven, wie im negativen. Und, Wissenschaft macht Fehler. Vor allem dann, wenn ethische Grundsätze negiert werden. Wenn sie Eitelkeiten, Machtstreben oder Gewinnlust dient oder sich in einem selbstreferentiellen Kokon verspinnt. Die Affen von Gänserndorf sind Opfer dieser Form von rücksichtsloser, respektloser und nur sich selbst verpflichtet  fühlender Wissenschaft. Darüber hinaus genießen wir die Errungenschaften der Wissenschaften ab und an gerne. Claus beim Zahnarzt und ich, hier muss Loriot zitiert werden, beim Fliegen: „Der Mensch ist das einzige Wesen, das im Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen kann.“

Welche Reaktionen hat es nach der Veröffentlichung Ihres Filmes gegeben?

Der Film löst Diskussionen aus. Immer wieder neu. Ob in Europa, den USA, Südamerika oder Asien. Vor allem dort, wo Menschen- und Tierrechte noch nicht Teil der öffentlichen Diskussion sind, erfährt der Film eine große Bereitschaft sich mit diesen Themen zu beschäftigen. „Unter Menschen“ war mittlerweile auf über 15 Festivals zu Gast und hat einige Auszeichnungen erhalten.

Deep Space LIVE: Unter Menschen“ findet am DO 16.1.2014, 20:00, gemeinsam mit Christian Rost im Deep Space des Ars Electronica Center Linz statt.

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