Technologie trifft auf Armut

beggarrobot_small,

Wer die Ausstellung „Device Art“ im Ars Electronica Center betritt, trifft zu allererst auf ihn. Der aus alter Hardware zusammengesetzte „Beggar Robot“ des slowenischen Künstlers Sašo Sedlaček spricht jede und jeden an und streckt den BesucherInnen seine blechernen Hände entgegen. Als Verkäufer der Straßenzeitung „Kupfermuckn“ trägt er mittlerweile einen offiziellen Ausweis und bittet mit freundlichen Worten um Geldspenden. Mehr als 250 Euro sind im vergangenen Monat dadurch zusammengekommen – darunter nicht nur Euros, sondern auch Münzen aus aller Welt, von Japan bis Brasilien, von Australien bis Russland.

Ist es durch dieses Open-Source-Projekt gelungen, das auch selbst nachgebaut und weiterentwickelt werden kann, mehr Menschen zum Spenden zu bewegen? Ist es angenehmer den direkt betroffenen Menschen nicht in die Augen zu schauen? Bei vorhergehenden Testeinsätzen dieses Roboters wurde jedenfalls beobachtet, dass er eher an Orten geduldet wurde, an denen von Armut betroffene Menschen sonst vertrieben werden. Wir haben mit Mag. Heinz Zauner, Chefredakteur der Straßenzeitung „Kupfermuckn“ und Geschäftsführer der „ARGE für Obdachlose“, über die Verbindung von Technologie und Armut gesprochen.

Ein Roboter als Verkäufer der „Kupfermuckn“ – wie gefällt Ihnen diese Aktion?

Heinz Zauner: Die Aktion ist super, vor allem weil sie eine weitere Möglichkeit bietet, die Diskussion über Bettelverbote fortzuführen und über Hintergründe von Armut zu reden – und darüber, dass man von Armut betroffenen Menschen als Menschen und nicht als Probleme betrachtet. Unsere VerkäuferInnen der „Kupfermuckn“ haben ein relativ gutes Image in der Bevölkerung und wir schauen auch sehr darauf, dass wir freundlich sind und das so bleibt. Wir sind keine Bettler – wir verkaufen etwas, das seinen Wert hat. Die Menschen machen dabei etwas Sinnvolles und das wird uns auch abgenommen. Wenn man beispielsweise auf die Auflage der Straßenzeitung blickt, haben wir jetzt im Dezember eine Auflage von 50.000 Stück – unter dem Jahr sind es 30.000 Stück pro Monat. Die Zeitung wird um 2 Euro verkauft, ein Euro davon gehört der Verkäuferin oder dem Verkäufer.

Wie geht eine Straßenzeitung mit neuen Technologien um?

Heinz Zauner: „The Big Issue“, eine sehr bekannte Straßenzeitung in England, verkauft bereits Karten mit einem Code, der digital eingelöst werden kann, um sich die Zeitung auf das eigene Tablet zu laden. Wir haben das noch nicht gemacht, jedoch sind wir auf sozialen Medien wie Facebook aktiv und nutzen hier die Möglichkeit abzutesten, was gut ankommt und was nicht. So hat zum Beispiel die Meldung „Kupfermuckn hat Weihnachtsmänner mit echten Bärten“ auf Facebook über 3.000 Menschen erreicht. Von dem her sind neue Medien super.

Es gibt aber auch eine negative Seite der Technologisierung. Die merken wir vor allem, wenn die Arbeitslosigkeit ansteigt. Die Straßenzeitung „Kupfermuckn“ ist ja nur ein Teil unseres Vereins „ARGE für Obdachlose“ – wir führen auch Beratung, Wohnbetreuung und Delogierungsprävention durch und betreiben einen Trödlerladen. Insgesamt beschäftigen wir 400 Leute im Jahr, es gibt jedoch viel mehr Menschen, die bei uns arbeiten möchten als wir aufnehmen können. Das merkt man in der aktuellen Krise total schnell. Prekäre Jobs, Hilfsarbeiterjobs oder über Leasingfirmen beschäftigte Menschen – diese Jobs werden immer weniger und es sind genau die Menschen die ersten, die ihren Job in Krisenzeiten verlieren. Einen Hilfsarbeiter kann man immer wieder einstellen, bei einem Fachpersonal wird man es sich überlegen, wenn man ihn vielleicht in dieser Qualität nicht mehr so schnell wiederbekommt. Wir merken diese Globalisierung und fortschreitende Technologisierung ganz stark. Das ist die zweite Seite aller Produktivitätssteigerungen. Und diese Leute sind auch unser Klientel.

Das betrifft auch die Zeitungsbranche…

Heinz Zauner: Ja, auch bei den Zeitungen wird es so werden, dass man Menschen wegrationalisiert und auf digitale Medien umsteigt. Die Straßenzeitung behält aber noch diese Verbindung, diesen menschlichen Aspekt. Ich glaube schon, dass das zukünftig auch noch geschätzt wird. Man merkt das auch ganz stark bei älteren Menschen. Wir bekommen jetzt vor Weihnachten hin und wieder 10 Euro überwiesen, wo man merkt, das ist eine ältere Dame, die selber nichts hat und extra wegen uns zur Bank gegangen ist. Um die Straßenzeitung mach ich mir keine Sorgen, um die Jobs, die unsere Menschen, unsere Klienten da draußen, haben könnten, mache ich mir schon Sorgen. Wir haben Leute, die sehr gerne arbeiten und wieder arbeiten möchten. Wir haben einen Bauarbeiter, der jahrelang nicht da war und jetzt ist er nach einer Pleite eines großen Konzerns wieder hier. Viele Menschen wollen ja auch etwas tun, das gibt ihnen ja auch eine Würde.

Wie ist die „Kupfermuckn“ eigentlich entstanden und wie viele Leute arbeiten an diesem Projekt?

Heinz Zauner: Wir haben derzeit jeden Monat 130 StraßenzeitungsverkäuferInnen alleine in Linz, mit Wels und Steyr kommen noch etwa 20 hinzu. Das, was unsere Straßenzeitung so einzigartig macht, ist, dass drei Viertel der Texte von den Betroffenen selbst geschrieben werden. Hier reicht die Geschichte bis zurück ins Jahr 1994, als unser Verein eine Wärmestube für Obdachlose betrieben hat und wir mit dem Schriftsteller Kurt Mitterndorfer begannen, Schreibwerkstätten zu organisieren. So hatten die Leute hier auch tagsüber etwas zu tun. Mit dem „Augustin“ in Wien ist dann die erste Straßenzeitung in Österreich gegründet worden, dann wollten wir es auch hier in Linz probieren. Zuerst wurden noch 1.500 Stück gratis verteilt. Das Echo war sehr positiv.

Und wer schreibt die Texte?

Heinz Zauner: Seit der Gründung der „Kupfermuckn“ trifft sich die Redaktion jeden Mittwoch um 13 Uhr. Wir haben ein eigenes Redaktionsstatut und Plätze für bis zu 20 Schreiberinnen und Schreibern, die mitmachen können. Sie bekommen 40 Euro im Monat dafür, müssen aber mindestens die Hälfte der Zeit anwesend sein. Bei der Redaktionssitzung geben sie die Texte ab und jede und jeder liest auch den eigenen Text vor. So kommen wir zu Schwerpunktthemen für die nächste Ausgabe und besprechen, was noch fehlt und wer was übernehmen kann. Georg aus Wels hat zum Beispiel die Idee eingebracht, Selfies von uns zu machen und sie auf Facebook zu stellen. Dass sozial Benachteiligte Selfies machen, kam sehr gut an. Oft überlegt man sich als Chefredakteur, wie man sich sozialen Themen nähern kann und dann kommt eine wunderbare Idee von den beteiligten Menschen selbst. Etwas mehr als zwei Personen sind bei uns fix angestellt, um all die Logistik und sonstige organisatorische Sachen zu regeln – den Rest erledigen bei uns die betroffenen Menschen und bekommen dafür auch bezahlt. Natürlich ist Einkommen wichtig, es ist aber nicht das Allererste. Viele Leute, die mit uns arbeiten, sagen, dass sie nicht wegen dem Geld kommen sondern weil sie sich zur Familie zählen. So wie andere Straßenzeitungen auch machen wir viele Freizeitaktivitäten, die nicht immer in der Zeitung stehen müssen. Wir arbeiten besonders viel mit den Betroffenen, das ist das, was „Kupfermuckn“ auszeichnet.

Jetzt in der Adventzeit ist eure Auflage höher, auch die Spendenbereitschaft und das Medieninteresse steigen…

Heinz Zauner: Man soll sich nicht ärgern, wenn jetzt im Dezember viele Menschen kommen und mit einem reden wollen. Wir haben die Einnahmen von zwei Gruppen bekommen, die regionale Punschstände betreuen, wir erhalten Spendengelder von Unternehmen, viele Einzelmenschen unterstützen uns, viele davon auch anonym. Auch Essenseinladungen in Gasthäuser sind dabei. Das alles freut uns sehr, aber wir würden uns natürlich auch freuen, wenn das alles jetzt nicht nur im Dezember sondern auch im Februar oder im April geschieht. Gerade jetzt, wo es kalt wird und Weihnachten vor der Tür steht, wird das Problem der Armut besonders sichtbar. Beim ersten Schnee rufen uns schon BürgerInnen und JournalistInnen an und fragen nach, wie es den Obdachlosen geht und ob niemand auf der Straße erfriert. Aber Wohnungslosenhilfe, ein weiterer Bereich unseres Vereins, wird 365 Tage im Jahr gebraucht – nicht nur zur Weihnachtszeit. Und wenn Medien im Sommer darüber schreiben, dass Obdachlose im Park stören, da ist diese Anteilnahme nicht so groß. Natürlich nehmen wir die Spenden zu Weihnachten sehr gerne. Alles hat sein Positives, es ist jetzt einfach Weihnachten.

Im Ars Electronica Center spricht Sie der „Beggar Robot“ noch weiterhin in der Ausstellung „Device Art“ an. Wenn Sie den Verein „ARGE für Obdachlose“ unterstützen wollen, informieren Sie sich auf www.arge-obdachlose.at. Spenden für sozial benachteiligte Menschen werden unter der Kontonummer IBAN: AT461860000010635860 und BIC: VKBLAT2L gerne entgegengenommen.

,