Von absurden Landschaften und habitablen Exoplaneten

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ForscherInnen haben um Proxima Centauri einen erdähnlichen Exoplaneten entdeckt, auf dem sogar Leben möglich sein könnte. Es ist das erste Mal, dass ein solcher erdähnlicher Planet entdeckt worden ist, der sich so nahe an unserem Sonnensystem befindet. Proxima Centauri ist mit nur 4,24 Lichtjahren (also etwa 40 Billionen Kilometer) der zu unserer Sonne am nächsten gelegene Stern. Entdeckt wurde der Planet mit den Teleskopen der Europäischen Südsternwarte in Chile (ESO).

„Ich konnte mir immer gut vorstellen, dass die Jagd nach solchen erdähnlichen Planeten von Astronomen und Astronominnen voller Begeisterung durchgeführt wird. Aber ich dachte, dass die Begeisterung in der Entdeckung an sich liegt, weniger an den spekulativen Möglichkeiten, wie beispielsweise der Entdeckung von Leben, die ein solcher Exoplanet womöglich verspricht. Denn eigentlich weiß man von diesen Planeten nur wie groß sie sind, wo sie sich befinden und wie lange sie brauchen um ihren Stern zu umkreisen. Sonst meist kaum etwas! Es könnte genauso gut ein toter Planet sein, wie etwa der Mars. Die Astronomen und Astronominnen sind bei diesem Thema aber genauso emotional wie die Öffentlichkeit. Das hat uns schon sehr überrascht,“ erzählt Juliane Götz, Mitglied des KünstlerInnenkollektivs Quadrature.

Welche Eindrücke Quadrature, bestehend aus Sebastian Neitsch, Juliane Götz und Jan Bernstein, sonst noch von ihrer art & science-Residency bei der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile mitnehmen konnten und welche künstlerischen Arbeiten daraus entstanden sind, die sie erstmals während dem Ars Electronica Festival 2016 präsentieren, berichten sie im Interview.

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„Quadrature“: Juliane Götz, Sebastian Neitsch, Jan Bernstein. Credit: Quadrature

Zunächst die wichtigste Frage: Wie ist es euch während eurer Residency an den ESO-Standorten in Chile ergangen?

Sebastian Neitsch: Alles wirkte ziemlich absurd. Die Landschaft ist absurd, die Architektur ist absurd, die Technologie ist absurd. Aber im positiven Sinne. Alles wirkt so absolut. Die Landschaft ist absolut trocken, die Architektur absolut funktional und dennoch auch absolut gestaltet und ästhetisch. Die Leute, würde ich sagen, sind nicht unbedingt so absurd wie ihr Arbeitsplatz, aber absolut konzentriert und enthusiastisch. Es ist die trockenste Wüste der Welt, dort sieht es aus, wie auf dem Mars – passender Weise. Dann stehen dort völlig abgelegen, irgendwo oben auf einem Berg, in starkem Kontrast zur Landschaft, diese Speerspitzen moderner Technologie. Sehr beeindruckend.

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Credit: Claudia Schnugg

Was habt ihr dort erlebt? Habt ihr alles gemacht, was ihr euch vorgenommen habt?

Juliane Götz: Wir sind ziemlich überall hingekommen, wo wir hin wollten. Zu Beginn waren wir erst einige Tage in Santiago de Chile, wo wir uns die Headquarters der ESO angesehen haben. Dort gab es eine sehr spannende Fragerunde mit einigen Astronomen. Das war ein sehr guter Einstieg, da unterschiedlichste Themengebiete recht detailliert aus Sicht der Astronomen erläutert wurden.

Danach sind wir zum Paranal-Observatorium zu den VLTs (Very Large Telescopes) auf 2500 Meter in der Atacamawüste gereist. Dort waren die abendlichen Eröffnungsrituale und die Kalibration der Teleskope  mit am Beeindruckendsten.

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Credit: Sebastian Neitsch

Sebastian Neitsch: Das Ritual läuft jeden Abend gleich ab: Stell dir vor, du bist im Ars Electronica Center und der Teil des Hauses in dem du dich befindest bleibt fix, aber das ganze Gebäude außen herum beginnt sich zu drehen. Also von solchen Dimensionen sprechen wir hier. Wie gesagt: Absurd! Dann fängt  auch noch das Innere an sich zu drehen. Wie wenn man im Zug sitzt und der Zug gegenüber fährt los, man bekommt kurz das Gefühl sich zu bewegen obwohl man an Ort und Stellen bleibt. Nur, dass alles viel, viel größer ist.

Juliane Götz: Wir waren auch bei den unterirdischen „VLTI Delay Lines“. Das ist  ein großes Interferometer, in dem die vier Teleskope zusammengeschaltet werden können. Da die Teleskope aber alle einen unterschiedlichen Abstand zum Interferometer haben, muss das Licht sozusagen in Warteschleifen geschickt werden, damit die Lichtstrahlen alle gleichzeitig am Instrument eintreffen, auf Mikrometer genau. Das ist eine 160 Meter lange Halle, in der vier Schienensysteme installiert wurden, mit deren Hilfe das Licht hin- und hergeschickt wird.

Spannend  war es auch in den Kontrollräumen vor Ort zu sein, wenn die Astronomen die tatsächlichen Beobachtungen machten und die rohen, noch unbearbeiteten Aufnahmen live zu sehen und die Stimmung mitzuerleben. Dadurch versteht man erst was für eine Arbeit hinter all den Erkenntnissen und hochauflösenden fertigen Bildern steckt, die wir als Öffentlichkeit zu sehen bekommen.

Nach knapp einer Woche auf Paranal fuhren wir weiter zu ALMA (Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array). Das ist eine Sammlung aus 66 gigantischen Radioteleskopen, die auf ca. 5.000 Meter Höhe stehen. Das war noch absurder als die erste Station – wie auf einem anderen Planeten. Wir mussten Gesundheitschecks machen und jeder hat eine kleine Sauerstoffflasche für den Notfall bekommen.

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Credit: Claudia Schnugg

Was konntet ihr von eurem Aufenthalt nach Linz zu eurer zweiten Station der art & science Residency, dem Ars Electronica Futurelab, mitnehmen?

Sebastian Neitsch: Erstmal die Tatsache, wie wenig diese ganzen schlauen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eigentlich wirklich wissen. Zum Beispiel ist es noch nicht einmal endgültig bewiesen, dass wir nur eine Sonne in unserem Sonnensystem haben. Das fanden wir hochinteressant. Es ist zwar extrem wahrscheinlich, dass da nur die eine Sonne ist. Aber schon seltsam: es ist noch nicht mal 100 Prozent sicher, dass wir nur eine Sonne haben!

Uns war auch nicht klar, dass diese hochtechnologischen Maschinen ständig kalibriert und  repariert werden müssen – das ist völlig normal und Teil des Alltagsgeschehens. In Paranal arbeiten fast hundert Leute ständig daran diese Maschinen am Laufen zu halten. Das ist die ausgereifteste Technologie, die die Menschheit in diesem Bereich momentan bauen kann, all die Instrumente sind Spezialanfertigungen. Das Verhältnis zwischen der eigentlichen Nutzung und der Kalibrierung der Maschinen fanden wir erstaunlich. Man arbeitet fast mehr an der Maschine als mit der Maschine. Die Teleskope sind sehr sensibel. Wenn zu viel Wind geht, wenn zu viel Staub in der Luft ist oder wenn zu viele Wolken sind, können die Astronomen und Astronominnen nicht observieren.

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Quadrature und Fernando Comerón, Repräsentant der ESO-Vertretung in Chile (Credit: Claudia Schnugg)

Juliane Götz: Diese  Anlagen stehen eh schon so weit weg von der Zivilisation, in der trockensten Wüste der Welt, aber dennoch stört die Natur, die ja eigentlich observiert werden soll.

Sebastian Neitsch: Dieses riesige Ding wird also die ganze Zeit ständig mit aller Kraft am Laufen gehalten, dadurch entstand eine der Ideen, die wir in einer künstlerischen Arbeit umgesetzt haben. Dieses Gleichgewicht zwischen Kalibration und Funktion. Die Balance zwischen Technik und Umwelt muss immer wieder aufs Neue gesucht und gefunden werden. Generell sprechen die Astronomen und Astronominnen oft von Gleichgewicht. Würde zum Beispiel im Sonnensystem das Verhältnis  zwischen Gravitation und Fliehkraft nicht stimmen, würde alles auseinander fliegen oder zusammenprallen. Auch dieses Gleichgewicht ist nicht fix für die Ewigkeit, kleinste Schwankungen können reichen um die festen Bahnen zu zerstören.

Könnt ihr etwas mehr über dieses Projekt erzählen, das erstmals in der POSTCITY beim Ars Electronica Festival 2016 präsentiert wird?

Juliane Götz: Dieses Projekt nennen wir „MASSES“. Das steht für „Motors And Stones Searching Equilibrium State“. Die Arbeit besteht aus einer 1,20 mal 1,20 Meter großen Stahlplatte, die versucht sich auszubalancieren. Die Platte ist frei gelagert, so dass sie in jede Richtung kippen kann. Auf der Platte liegen zwei Vulkansteine, die ihre Positionen so verlagern können, dass die Platte kurz im Gleichgewicht ist. Unsere These ist, dass es nie klappen wird, diese Platte länger im Gleichgewicht zu halten, sondern dass sie ständig in irgendeine Richtung kippt. Die Maschine ist die ganz Zeit damit beschäftigt, sich selbst zu kalibrieren um den perfekten Zustand zu erreichen. Das schafft sie jedoch nie ganz, aber sie fällt auch nie komplett aus.

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Während des Aufbaus von MASSES (Credit: Quadrature)

Eine zweite Arbeit präsentiert ihr auch noch in der POSTCITY…

Sebastian Neitsch: Die zweite Arbeit heißt „STONES“ und steht für „Storage Technology for Observed Nearby Extraterrestrial Shelters”. Es ist eine neue Speichertechnologie für Informationen über Exoplaneten in der so genannten „habitablen Zone“.

Juliane Götz: Die Suche nach Exoplaneten, ist gerade ein sehr spannendes Feld der Astronomie und bekommt starkes öffentliches Interesse. Ein Exoplanet ist ein Planet außerhalb unseres Sonnensystems. Man geht davon aus, dass die meisten Sterne mindestens einen eigenen Planeten haben. Wenn sich dieser Planet im richtigen Abstand zu seinem Stern befindet, so dass es nicht zu heiß und nicht zu kalt ist und Wasser auf seiner Oberfläche theoretisch flüssig sein könnte, dann liegt er in der habitablen Zone. Bei uns befinden sich die Erde – ganz klar – und der Mars gerade noch so in dieser Zone.

Sebastian Neitsch: Würden wir irgendwo noch einen Planeten entdecken, der wie der Mars wäre, wären wohl alle recht begeistert und es wäre wahrscheinlich ein ganz heißer Kandidat für die zweite Erde. Nun ist der Mars aber ein toter Planet ohne schützendes Magnetfeld und mit sehr dünner Atmosphäre. Wir wüssten das aber nicht unbedingt, wenn der Mars weiter entfernt wäre und der Planet könnte sogar mit geringer Wahrscheinlichkeit Leben beherbergen. Allein diese Möglichkeit und die fantastischen Bilder und Geschichten die daraus entstehen, gepaart mit moderner Popkultur kreieren viele Emotionen sobald ein neuer Planet in der habitablen Zone entdeckt wird. Diese Ambivalenz zwischen wissenschaftlicher, rein objektiver Erkenntnis und öffentlicher Wahrnehmung hat uns sehr fasziniert.

Juliane Götz: Wir wollten bei unserem Projekt nur die reine Information darstellen – ohne irgendwelche kulturellen Deutungen –  und diese für zukünftige Generationen speichern. Bisher werden die Daten auf schnellen, aber im Vergleich zu den Planeten, sehr kurzlebigen SSD-Festplatten gespeichert.

Sebastian Neitsch: Wir hingegen speichern die Daten auf einem Medium das nur sehr langsam beschrieben werden kann und auf das nur sehr wenig  Informationen passen. Dafür hält der Inhalt aber viel länger. Wir schreiben die Information in Form eines Binärcodes auf Granit, der wenn er richtig gelagert wird, extrem lange haltbar ist.

Unsere auf Steintafeln verewigte Botschaft ist eine Art Wegweiser in den Himmel, sollten zukünftige Generationen die Erde verlassen wollen oder müssen. Die reine Information soll für jeden eventuellen Finder in der Zukunft lesbar sein –  dafür nutzen wir die Sprache der Mathematik. Sie ist überall im Universum die gleiche. Ein vergleichbarer Ansatz wie bei der berühmten Botschaft auf den Voyager-Sonden. Da wurde auch versucht, dass man alles, was man über die Menschheit vermittelt, so erzählt, dass man keine menschliche kulturelle Vorbildung braucht. Das heißt, man muss nicht irgendeine Sprache kennen, um das zu lesen, sondern braucht lediglich eine physikalische Vorstellung davon, wie das Universum funktioniert und ein Verständnis für die universelle Sprache der Mathematik – eins plus eins ist überall im Universum zwei – dann ist man hoffentlich in der Lage das zu lesen.

Außerdem interessierten uns die Gemeinsamkeiten zwischen Astronomie und Religionen. Diese riesigen Teleskope stehen in den abgelegendsten Gegenden, meist auf  Bergen, wie  oft auch Tempel, Klöster oder Kirchen. Man ist dem Himmel sehr nahe. Dort oben arbeiten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit ihren fürs „Volk“ kaum verständlichen Sprache der Mathematik und erklären uns die Welt, ein wenig wie früher die Priester, die auch oft Ihre eigenen Sprachen hatten und den Menschen im Tal den Willen der Götter erklärten.

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Credit: Martin Hieslmair

Im Deep Space 8K präsentiert ihr beim Ars Electronica Festival 2016 zusätzlich die audiovisuelle Performance „Orbits“. Könnt ihr darüber auch schon ein bisschen etwas verraten?

Juliane Götz:Orbits“ ist aus einem Projekt entstanden, bei dem wir die Bewegung von Satelliten in Echtzeit verfolgen. Das wurde letztes Jahr beim Ars Electronica Festival gezeigt. Inzwischen zeigen wir aber nicht nur diese 1.500 Satelliten vom letzten Jahr, sondern auch noch Weltraumschrott und inoffizielle Objekte wie Spionagesatelliten. Insgesamt mehr als 15.000 Objekte.

Die Arbeit ist kein Video, sondern sie läuft immer in Echtzeit. Wir fangen im Hier und Jetzt an. Das heißt, man hat einen Blick auf Linz und sieht alle Satelliten in einem Radius von 100 Kilometer. Je nachdem was gerade los ist, sind mehr oder weniger Satelliten zu sehen. Jeder Satellit, der durchs Bild fliegt, erzeugt einen minimalistischen Ton. Eine Sinuskurve, deren Frequenz abhängig von seiner Höhe zur Erdoberfläche ist und dessen Lautstärke vom Abstand zu uns als Betrachter abhängt. Sobald viele Satelliten „getrackt“ werden entsteht ein komplexer Soundteppich der teilweise auch etwas im Ohr weh tun kann.

Wir zoomen dann langsam raus aus Linz und lassen die Zeit schneller ablaufen. Man bekommt immer mehr einen Eindruck über die schiere Masse an Objekten, bis die virtuelle Kamera schließlich ca. 55.000 Kilometer entfernt von unserem Planeten stehen bleibt. Die Erde selbst zeigen wir nie, aber man erkennt sie durch die Flugbahnen der Teile, die um die Erde herumfliegen. Es entstehen teilweise recht kitschige Ästhetiken. Florale, organische Muster, die aus reiner physikalischer Notwendigkeit so wunderschön aussehen, aber von den Schrottteilen unserer Zivilisation stammen.

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Credit: Martin Hieslmair

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Jan Bernstein, Juliane Götz und Sebastien Neitsch lernten sich an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle/Saale kennen. Nachdem sie ihre Ausbildungen abgeschlossen hatten, waren die KünstlerInnen unter anderem in Antwerpen, Linz, Valencia, Wien und Stuttgart tätig. Im Jahr 2000 arbeiteten sie erstmals zusammen und gründeten bei der Gelegenheit das Kollektiv Quadrature, in das jede/r spezifische Kompetenzen und Schwerpunkte einbringt. Im Fokus ihrer künstlerischen Projekte steht meist der Widerspruch zwischen Wissen und Begreifen.

Die Arbeiten „MASSES“ und „STONES“ finden während des Ars Electronica Festivals von 8. bis 12. September 2016 in der POSTCITY, dem ehemaligen Linzer Post- und Paketverteilzentrum. „Orbits“ wird während des  Festivals mehrmals im Deep Space 8K im Ars Electronica Center gezeigt. Für die genauen Tage und Zeiten finden Sie hier: https://ars.electronica.art/radicalatoms/de/deep-space-8k-orbits/

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