Wann gehen die wieder?

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Der Begriff Patchwork-Familie ist eine relativ neue Bezeichnung für eine Familienform, die es eigentlich schon sehr lange gibt. Während früher sogenannte Stieffamilien dann entstanden, wenn ein Elternteil verwitwete, steht am Beginn der modernen Patchwork-Familie in der Regel eine Scheidung. In Österreich wird heutzutage beinahe jede zweite Ehe geschieden. Hinzu kommt die Zahl der Trennungen unverheirateter Paare mit gemeinsamen Kindern. Gehen die getrennten Elternteile neue Partnerschaften ein, entstehen sogenannte Patchwork-Familien.

Im Rahmen des Projektes „Linzer Bilderbuch-Kindergärten“ konnten sich Kindergartenkinder aus insgesamt 12 Büchern ihr Lieblingsbuch aussuchen, das sie künstlerisch gestalten wollen. Die Kinder des „Kindergarten der Zukunft“ haben sich dieses Jahr für das Buch „Wann gehen die wieder?“ von Ute Krause entschieden und sich dadurch mit dem Thema Patchwork-Familie beschäftigt. Die Kinder haben selbst Figuren und Landschaften gestaltet und in einem Video die Geschichte der Räuber-Drachen-Prinzessinnen-Patchwork-Familie nachgespielt. Das Tischpuppenspiel der Kinder sowie das Making-of sind als Videos im Ars Electronica Center zu sehen. Die BesucherInnen können auch Ihre eigenen Familienmitglieder basteln und ein Familienfoto als Erinnerung nach Hause schicken.

Wir haben mit Elisabeth Pils, Leiterin des „Kindergarten der Zukunft“, darüber gesprochen, wie Kindergartenkinder mit dem Thema Patchwork-Familie umgehen und wie sie der Kindergarten bei dieser neuen Situation unterstützen kann.

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Die Kindergärtnerinnen des Kindergartens der Zukunft (Mitte: Elisabeth Pils)

Der „Kindergarten der Zukunft“ hat eine etwas andere Organisationsstruktur als „normale“ Kindergärten, weil es keine Gruppen nach Alter, sondern „Interessensgruppen“ gibt. Was bedeutet das genau.

Elisabeth Pils: Wir arbeiten nach dem sogenannten Ko-Konstruktionsansatz. Unsere Kindergartenkinder sind Forscherinnen und Forscher, die ihre Umgebung erkunden. Kinder lernen von der Umwelt, von uns Pädagoginnen, aber auch von den anderen Kindern. Wir haben Lernwerkstätten, die nach Themen gegliedert sind und die Kinder wählen die Räume selbständig nach deren aktuellen Bedürfnissen aus und auch bei welchem Projekt sie mitmachen wollen. Für die Kinder im letzten Kindergartenjahr bieten wir spezielle Workshops zur Schulvorbereitung in den jeweiligen Lernwerkstätten an.

Was sind die Vorteile einer solchen Struktur?

Elisabeth Pils: Es ist auch in herkömmlichen Kindergärten üblich, dass Kinder zwischen 3 und 6 Jahren in einem Raum zusammen sind, aber bei uns sind die Kinder nicht an einen Raum gebunden. Für mich bedeutet so etwas eingesperrt zu sein, wenn die Kinder alles in einem Raum absolvieren müssen. Bei uns haben sie viel mehr Möglichkeiten und die unterschiedlichen Begabungen der Kinder können weiter gefördert werden. Sie können sich auch in Rückzugsorte zurückziehen. Wenn ein Kind von 7 bis 16 Uhr im Kindergarten ist, braucht es einmal ein wenig Ruhe, bei der das Kind nicht von vielen anderen Kindern umgeben ist. Wichtig dabei ist, dass sich das Kind selbst aussuchen kann, wann es in einen Ruheraum geht und es nicht zu einem Mittagsschlaf zu einer bestimmten Uhrzeit „gezwungen“ wird.

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Warum hat der „Kindergarten der Zukunft“ bei den Linzer Bilderbuch-Kindergärten mitgemacht? Wie profitieren die Kinder davon?

Elisabeth Pils: Hauptschwerpunkt aller Linzer Bilderbuch-Kindergärten ist die Sprachförderung im Kindergartenalter. Bilderbücher regen zum Erzählen und Mitgestalten an und sind deshalb ganz wichtig. Darum sind wir jedes Jahr mit dabei. Auch, damit wir der Öffentlichkeit präsentieren, wie wichtig die pädagogische Arbeit im Kindergarten ist und was hier alles an pädagogischer Arbeit passiert.

Im Rahmen der Linzer Bilderbuch-Kindergärten haben sich die Kinder aus insgesamt 12 Bilderbüchern ein Lieblingsbuch ausgesucht, zu dem sie ihre eigenen Kunstwerke geschaffen haben. Wie ist es zur Entscheidungsfindung gekommen?

Elisabeth Pils: Die Kinder haben ihr Lieblingsbuch in einer demokratischen Entscheidung ausgewählt. Nachdem wir mit den Kindern die 12 Bilderbücher durchgenommen haben, stellten wir die Bücher nach der Reihe auf und jedes Kind durfte demokratisch, mit Hilfe zweier Murmeln abstimmen. Die beiden Murmeln wurden jeweils zum, bzw. zu den Lieblingsbüchern gelegt. Das Buch „Wann gehen die wieder?“ hatte am Schluss die meisten Murmeln und deshalb haben wir dieses Buch ausgewählt.

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Ist das auch Teil des Konzepts des „Kindergarten der Zukunft“, dass Kinder viel Mitspracherecht haben?

Elisabeth Pils: Ja, wir bemühen uns, dass die Kinder mitorganisieren und mitgestalten können. Wir greifen gerne die Ideen der Kinder auf und schauen, ob das praktikabel und umsetzbar ist und suchen dann gemeinsam nach Lösungen. Auch gewisse Regeln werden von uns und von den Kindern in regelmäßigen Abständen hinterfragt und immer wieder neu besprochen.

In dem Buch „Wann gehen die wieder?“ geht es um das Leben einer Patchwork-Familie und wie die Kinder mit so einer Situation umgehen. Warum, glauben Sie, haben sich die Kinder für dieses Buch entschieden? Wie gehen betroffene Kinder im Kindergarten mit diesem Thema um?

Elisabeth Pils: Das Thema Patchwork-Familie ist ein aktuelles Thema unserer Zeit und einige Kinder unseres Kindergartens leben in Patchwork-Familien. Vielleicht haben sie dieses Buch deshalb gewählt. Teilweise ist es für Kinder ganz selbstverständlich über dieses Thema auch im Kindergarten zu sprechen. Andere sind da eher zurückhaltender. Wir sind froh, wenn die Eltern uns erzählen, dass sie sich trennen, damit wir richtig mit dem Kind umgehen können. Aber es kommt immer auf das Kind an, ob es darüber sprechen will oder nicht. Manchmal bekommt man diese Thematik auch bei Rollenspielen mit. Wir fragen bei den Kindern aber nicht nach, sondern warten, bis die Kinder mit Fragen zu uns kommen und dann helfen wir ihnen gerne.

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Wie kann der Kindergarten Kinder von Patchwork Familien unterstützen?

Elisabeth Pils: Das wichtigste ist, dass wir uns die Sorgen, Probleme und Ängste der Kinder anhören und versuchen ihnen alle Fragen zu beantworten, die sie haben. Verarbeiten können Kinder so etwas in Rollenspielen, wie wir es auch bei der Nacherzählung dieses Buches gemacht haben.

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Wie haben die Kindergartenkinder das Buch künstlerisch umgesetzt?

Elisabeth Pils: Nachdem die Kinder das Buch ausgewählt haben, wurde in der Gruppe gemeinsam besprochen, was wir daraus machen könnten. Vor zwei Jahren haben wir zu einem Buch einen Trickfilm erstellt, deshalb wollten wir heuer etwas anderes produzieren und so hatten wir die Idee ein Tischpuppenspiel zu machen und das zu filmen. Dazu haben wir überlegt, welche Materialien wir für die Figuren und Kulissen verwenden können, damit die Kinder möglichst viel selber machen können. Die Spielfiguren sind deshalb aus PET-Flaschen, welche die Kinder selbst verzieren durften und die Behausungen und Kulissen, die im Buch vorkommen, wurden, nach den eigenen Vorstellungen der Kinder, aus Karton gebastelt.

Mir ist es ganz wichtig, dass sich die Kinder selbst etwas zutrauen. Zusätzlich zum Puppenspiel haben die Kinder auch die Charaktere aus dem Buch gezeichnet. Ein Mädchen hätte einen Drachen zeichnen sollen und war der Meinung, dass sie das nicht könne. Nachdem ich sie ermutigt hatte, dass ich mir sicher bin, dass sie das kann, hat sie einfach darauf los gemalt und war dann auf das Ergebnis sehr stolz. Wenn ich Kinder frage, ob sie mir helfen oder irgendetwas machen können, ist oft die erste Reaktion, dass sie sagen: „Das kann ich nicht!“. Aber das gehört auch zu unserem Konzept, die Selbstkompetenz der Kinder zu stärken, damit sie sich mehr zutrauen. Das ist ein ganz wichtiges Prinzip unserer pädagogischen Arbeit! „Hilf mir, es selbst zu tun.“

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Die Ausstellung „Wann gehen die wieder?“ finden Sie im 1. OG des Ars Electronica Center zu den Museumsöffnungszeiten.

Während den Sommerferien bietet das Ars Electronica Center abwechslungsreiche Workshops für 6- bis 14-Jährige an. Stöbern Sie im vielfältigen Angebot und melden Sie sich noch heute an: https://ars.electronica.art/center/programm/ferienprogramm/

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